Muttergefuehle
weil wir uns eigentlich alles gut teilen. Aber die Vereinbarungen dabei helfen, dass ich mich nicht ausgebeutet fühle. Und ich muss gestehen, dass er mich auch schon ganz schön oft extra einlädt, und das nicht etwa zu einem Martini oder einer romantischen Kutschfahrt.
So gewinne ich der Extraeinladung etwas Positives ab:
• Ich muss es nicht mehr märtyrermäßig selbst machen.
• Ich verschwende nicht mehr so viel Zeit, darauf zu warten, bis der Mann von selbst darauf kommt (Frühling 2046).
• Wenn es nicht anders geht, sage ich mir: Die Windel, die nach einer Extraeinladung gewechselt wurde, stinkt auch nicht.
Aaaaaaaahhhhhh!
Die Erleichterung, wenn das Kind mal weg ist.
Wenn wir Fernsehen gucken und es kommt Frauentausch oder ein Interview mit Til Schweiger, dann sagen der Mann und ich vor lauter Scham kein einziges Wort. Es herrscht eine peinlich berührte Stille. Noch stiller ist nur die Stille, die in der Wohnung herrscht, wenn das Kind nicht da ist. Wir machten das erste Mal Bekanntschaft mit ihr, als wir unseren sehr kleinen Sohn mit meinem besten Freund um den Block geschickt haben. Die karge Wand schien immer wieder »Das Kind ist weg. Das Kind ist weg« zu flüstern. Unheimlich war das. Dabei hatten wir uns vorher so schön ausgemalt, wie unsere freie Stunde aussehen sollte: Wir wollten erst übereinander herfallen, wilden, schnellen Sex haben, dann einen Kaffee trinken – und bei all dem kein Wort über das Kind reden.
Es war nicht mal fast so. Denn als mein Freund den Kinderwagen aus der Wohnungstür schob, saßen wir wie versteinert auf dem Sofa. Ob er mit dem Kinderwagen die Treppe heil runterkommt? Kriegt das Kind Angst, wenn es aufwacht? Was ist, wenn ein Stück Ohr aus der Mütze guckt? Wir haben uns tausend Fragen gestellt und unsere Pläne dabei völlig vergessen. Stattdessen sprachen wir die ganze Zeit über unser Kind (etwa zehn Wochen alt), wie niedlich es war (na ja) und was es schon alles konnte (nichts). Dann klingelte es an der Haustür, und statt Sex und Kaffee hatten wir unser Kind wieder.
Auch die nächsten Trennungen vom Kind waren nicht unbedingt einfacher. Als ich am Wochenende nachmittags allein rausging, fühlte es sich an, als hätte ich meine Daseinsberechtigung nicht dabei, und erzählte deshalb allen sehr nervig und ausschweifend von meinem Kind. Zwischendurch schreckte ich auf meinem Spaziergang immer wieder panisch zusammen, weil ich dachte, ich hätte mein Kind irgendwo vergessen und zum Beispiel beim Bäcker stehen gelassen.
Etwas später konnte ich endlich das Haus verlassen, durchatmen, »Aaaaahhhh!« sagen und die kinderfreie Zeit genießen. Und inzwischen freue ich mich ganz ohne schlechtes Gewissen, wenn ich mal zehn Minuten nicht an meinen Sohn denke. Der Mann und ich machen Paar-Dinge, wir gehen auf Konzerte, ins Kino oder Essen. Und es ist wirklich etwas anderes, in Jogginghose mit Kinderpopeln drauf auf dem heimischen Sofa zu liegen oder halbwegs schick angezogen beim Italiener zu sitzen. Keine Ahnung, was da psychologisch passiert, aber ich nehme den Mann und mich in diesen Momenten viel stärker als Paar wahr als in Anwesenheit des Kindes. Unsere Allein-Momente sind kostbar und vielleicht deswegen immer so schön, wir haben uns dabei tatsächlich noch nie gestritten. Stattdessen führen wir tolle Gespräche, bei denen wir nicht unterbrochen werden, zum Beispiel über unsere Pläne, unsere Selbstwahrnehmung als Eltern, unsere Gefühle für uns und über vieles, was nichts mit dem Kind zu tun hat. Und wenn es uns zu gefühlsduselig wird, reden wir schnell über Fußball. Was mich zur nächsten aufregenden Allein-Situation bringt: Als unser Sohn eineinhalb war, übernachtete er zum ersten Mal bei seinem Tagesvater. Während ich seine Tasche packte, bin ich fast in Tränen ausgebrochen, weil ich Angst hatte, nach Hause zu kommen und sein leeres Bett zu sehen. Das würde sicher noch viel lauter still sein als die Wände. Über die Trennung hinweggeholfen hat mir mein Sohn höchstpersönlich, er war nämlich an diesem Tag so scheiße, dass ich richtig erleichtert war, ihn bei seinem Tagesvater lassen zu können.
Der Mann und ich tranken also zuerst ein Bier und gingen zum Fußball ( FC St. Pauli – Bayer Leverkusen, Testspiel). Es war ein normaler Fußballabend: Ich dachte zirka vierhundertmal an das leere Bett und verdrückte Tränen der Rührung, als Timo Schultz nach dem Spiel mit seinen beiden Kindern auf dem Platz noch ein bisschen Fußball
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