Mutterliebst (German Edition)
Bauchs hindurch. Er ist ein kleiner Fötus, perfekt geformt, die Augen geschlossen. Rote und blaue Venen durchziehen seinen kleinen Körper. Zusammengekauert wartet er darauf, herauszukommen. Rubinrotes Blut und magentafarbenes Fruchtwasser fließen in all ihrer Ursprünglichkeit zwischen Mutter und Sohn. Unter der warmen Luft reibt sie ihren Bauch.
Völlig entspannt wandern ihre Gedanken zu Tony und ihrem Dinner am heutigen Abend. Ob sie sich wieder lieben werden? Allein bei der Vorstellung errötet sie sanft. Sie lässt zu, dass sie sich einen Urlaub mit Tony ausmalt – an einem schneeweißen Sandstrand irgendwo in der Karibik. Die glitzernden azurblauen Wellen branden ans Ufer, während sie einander in den Armen liegen wie Teenager, die die allererste Liebe erleben. Danach wird Tony regelmäßig nach New York kommen, wo sie Opernaufführungen besuchen und köstliche, aufwendige Abendessen kochen, die sie im Bett verspeisen, während sie im Fernsehen alte Schwarz-Weiß-Filme anschauen. Max wird ihn anbeten, und Tony wird freudig den Vater abgeben, der er nie sein konnte. Beinahe sieht sie bereits den funkelnden Diamantring an ihrem Finger und Tonys Blick, als er ihren Schleier hebt, um sie zu küssen …
„Fertig!“ Die rothaarige Friseurin nimmt ihr die Trockenhaube vom Kopf, schiebt sie zum Waschbecken und wäscht ihr die Haare aus. Plastiklockenwickler fallen mit lautem Klackern in das Becken. Nachdem Pearl ihre Haare rasch trocken geföhnt hat, wirbelt sie Danielle herum. „Fantastisch. Sie werden es lieben.“
Danielle blickt auf die Frau im Spiegel. Ihr Mund formt ein entsetztes „Oh“. Sie ignoriert die Tatsache, dass ihre Haut so schneeweiß wie Puderzucker ist und die Erschöpfung dunkle Ringe unter ihre Augen gezaubert hat. Sie späht auf die kurz geschnittenen Locken, die ihren Kopf in ein Schlachtfeld verwandeln. Nach einer Weile entscheidet sie, dass sie wie ein elektrifizierter Hahnenkamm aussehen.
„Machen Sie sich keine Sorgen, Sweetheart“, flötet Pearl. „Jede Frau findet nach einer Dauerwelle, dass sie irgendwie verändert aussieht.“ Sie entnimmt ihrem Rollwagen ein merkwürdiges Utensil. Es ist eine Art flacher Metallkamm mit langen Zinken. Damit zerrt sie an den festen Locken herum. Sie knatscht laut Kaugummi, lässt ihn immer wieder zerplatzen, bis sie in Sachen Frisur das gewünschte Ergebnis erzielt hat. Danach reicht sie den Kamm an Danielle. „Der beste Freund einer Frau! Beinahe – wenn Sie verstehen, was ich meine, Honey.“
10. KAPITEL
Danielle holt tief Luft. Sie hat es gerade eben geschafft, den ersten Flug aus Des Moines heraus zu erwischen. E. Bartletts Sekretärin rief gestern Nachmittag an, um ihr mitzuteilen, dass das Meeting der Partner einen Tag vorverlegt wurde. Danielle hat noch schnell Max besucht, bevor sie abgereist ist. Er wirkte ein bisschen seltsam und benommen, ansonsten aber stabil. Außerdem hat sie das Dinner mit Tony abgesagt, indem sie eine Nachricht an der Rezeption für ihn hinterlassen hat. Hoffentlich zeigt er Verständnis.
Danielle hört das Klackern ihrer Absätze, als sie den Marmorfußboden überquert. Ihre Firma befindet sich in einem der ältesten Gebäude an der Wall Street. Seine kühle Stille beruhigt sie. Sie nimmt den Fahrstuhl nach oben. Die Dame am Empfang lächelt zur Begrüßung. Plötzlich hebt sie die Augenbrauen, als sie Danielles neue Frisur wahrnimmt. Danielle nickt nur kurz, marschiert den Gang hinunter und bleibt einen Moment stehen, um sich zu sammeln. Noch einmal holt sie tief Luft, dann öffnet sie die Tür. Vor ihr liegt ein großer Raum im zweiundvierzigsten Stock. Es sind die Partner von Blackwood & Price versammelt, einer multinationalen Rechtsanwaltssozietät mit mehr als vierhundert Anwälten und Büros in New York, Oslo und London. Sie betrachtet den auf Hochglanz polierten Konferenztisch, der aus einem speziellen Edelholz gearbeitet ist, das nur in Südamerika wächst. In der Mitte des Tisches thront ein beeindruckendes Blumenarrangement. Wertvolles antikes Porzellan wurde aus dem Schrank geholt und für fünfzig Personen eingedeckt. Den Gourmet-Lunch lieferte eins der angesagtesten Restaurants von Manhattan. An diesem Punkt des Meetings wird gerade starker Kaffee serviert – eine Voraussetzung, um klar denken zu können nach dem Genuss des Weins, der die Mahlzeit begleitet hat. Papiere rascheln, einige der Anwesenden hüsteln – die unvermeidlichen Geräusche, die damit einhergehen, eine wichtige
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