Muttersohn
aufgeschrieben werden. Der Schmerz, der ihn jetzt beherrschte, zwang ihn, das zuzugeben. Er würde eine Liste mit Sätzen anlegen, die andere gesagt oder geschrieben hatten. Ein Kniefall vor dem Aufgeschriebenen. Eine Kapitulation. War er plötzlich erwachsen? Hoffen macht unbelehrbar. Wahrscheinlich hätte der Professor das auch schreiben können, und es hätte ihm nicht geholfen, das zu wissen.
Tätigkeit macht unverwundbar. Massimo, fahr schneller, schneller, schneller. Noch eine Frage, Massimo: Wann ist dein nächster Termin bei Elsa Frommknecht?
Nächsten Freitag, sagte Massimo.
Ich komme mit, sagte Percy.
Massimo schien sich zu freuen.
11.
Weil Percy fühlte, dass er an keiner Beerdigung teilnehmen könne, mussten Kirki, Massimo und Innozenz ohne ihn nach Scherblingen fahren. Er und Massimo hatten dafür gesorgt, dass Augustin Feinlein so im Sarg lag, wie er zuletzt auf der Brücke gestanden hatte: als silberner Stillsteher. Auch der abgeschlagene Kopf mit seinem Profil gehörte dazu. Percy sagte, er werde drüben auf dem Festland auf sie warten, in der Wirtschaft Buck. Da saß er dann schon am frühen Abend. Mit der Bedienung hatte er abgemacht, dass heute erst Feierabend sei, wenn seine Freunde zurück seien und ihm alles erzählt haben würden, was er von ihnen wissen will. Die drei kamen gegen zehn Uhr, und sie erzählten bis gegen ein Uhr. Die Bedienung hielt aus. Es sprachen aber fast nur Innozenz und Massimo. Kirki sah immer den an, der gerade sprach. Das sah aus, als würde sie, wenn etwas Gesagtes nicht stimmte, sofort eingreifen. Das war aber nicht nötig. Im Gegenteil, sie konnte durch Nicken alles bekräftigen, was die beiden erzählten.
Innozenz über Pfarrer Weimers Grabrede:
Einer, dem man wirklich zuhört, darf nicht wissen, was er sagt. Der darf nicht zu uns Zuhörern sprechen, sondern zu sich selber. Wie oft hat Pfarrer Weimer den Professor im Dämmer in der Stiftskirche sitzen sehen. Er selber für Feinlein unsichtbar im Chorgestühl. Und konnte nie gehen, nie die Kirche verlassen, solange Feinlein noch in einer Bank saß und … Ja, was hat er getan? Nichts war so deutlich spürbar wie das: Du hast nicht darüber nachzudenken, was der in der Bank denkt, fühlt, meint. Und wenn der die Nacht über da säße, dann würdest du auch die Nacht über da sitzen. Es war ein Bann. Du bist Zeuge einer Handlung. Du kannst nicht an deine Sachen denken. Du kannst nur da sein, Zeuge sein einer Stimmung, die ganz allein die Stimmung dieses Menschen ist. Er erfüllt die Kirche mit seinem Schweigen. Das spürst du. Du bist ganz und gar eingenommen von der Stimmung dieses Menschen. Du empfindest sie wie einen Inhalt. Es ist keine Frage, du kannst die Kirche erst verlassen, wenn er sie verlassen hat.
Pfarrer Weimer hat sich in der Grabrede noch einmal in diese Stimmung verloren. Und die Zuhörer sind ihm gefolgt. Es sei eine Kraft gewesen, die von Augustin Feinlein ausgegangen sei. So sitzen, so erfüllt, so bei sich. Da sei es ihm klar geworden, welche Kraft von Augustin Feinlein ausgegangen sei. Unnachahmlich. Aber rühmen dürfe er diesen Mann. Was ein Mensch ausstrahle, wenn es ihm gelingt, bei sich zu sein.
Dass der Pfarrer die Monstranz nicht erwähnte, fand Innozenz toll. Er war nichts als positiv bzw. wesentlich. Und Frau Dr. Breit, die für die Klinik sprach, sagte, was Professor Feinlein gewesen sei in jeder Hinsicht, das wolle sie nicht in einer zusammenfassenden Schilderung veräußerlichen. Was er war, wirkt hier weiter, lebt hier fort. Sie verneige sich.
Dass Dr. Bruderhofer nicht gekommen sei, könne nur ein Glücksfall genannt werden, sagte Innozenz.
Du hast die kindliche Seele vergessen, sagte Massimo.
Ja, sagte Innozenz, am Schluss, als alle schon erlebt hatten, dass die Rede jetzt zu Ende sei, da hat Pfarrer Weimer noch gesagt, Augustin Feinlein habe sich eine kindliche Seele bewahrt.
Gerettet, sagte Kirki. Seine kindliche Seele gerettet, hat er gesagt.
Und Innozenz: Seine kindliche Seele habe der Professor sich gerettet.
Und Massimo: Nicht wenige Zuschauer haben geweint.
Innozenz: Auch Frau Meyer-Horch hat geweint. Und der, der eng neben ihr saß, Friedlein Vogel, auch. Und von Einaug Alfons soll ich dich grüßen.
Massimo sagte, jetzt sei auch das dritte der mongolischen Pferde eingegangen. Ich habe ihre Namen nicht gewusst, ich habe sie nicht rufen können. Der Professor hat ihnen immer die Namen ins Ohr gesagt, dann hat er sie gefüttert. Ich hätte Kirki fragen
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