Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Wenn es danach geht, wird sie wohl nie wieder zu uns kommen können – denn der Krankenhauskoffer bleibt vermutlich immer halb leer.
»Und ich hab gar keine schönen Nachthemden mehr«, jammert sie weiter. »Und wenn ich plötzlich einen Herzinfarkt bei euch bekomme, lachen die sich im Krankenhaus kaputt, weil mein Nachthemd verwaschen ist!«
Es ist nicht so, dass mir Muddis Ausreden vollkommen neu wären. Allerdings werden die möglichen Hinderungsgründe von Jahr zu Jahr mehr und auch immer absurder – und so wird es immer anstrengender, darauf angemessen und vor allem ruhig zu reagieren. Ich versuche, es als Ritual zu sehen, das zu den Feiertagen gehört wie die Kugeln am Weihnachtsbaum und die Schokoladennikoläuse.
Und so hole ich meine Mutter am Heiligabend nach dem Mittagessen ab. Als ich ihre Taschen und den Krankenhauskoffer nach draußen zum Auto trage, wehrt sie sich nur noch ganz leicht. Na dann, frohes Fest!
15
»Kuchen?! Ich? Niemals!«
N achdem wir wieder bei uns zu Hause angekommen und Muddis Koffer ausgepackt sind, trudeln bereits die ersten Gäste ein.
Als alle an der gedeckten Kaffeetafel sitzen, entwickelt sich schnell ein typisches Muddi-Kinder-Enkelkinder-Gespräch, wie es jedes Jahr vorkommt, wenn auch mit kleinen Variationen.
»Muddi, nimm dir doch noch ein Stückchen Torte«, sage ich, da sie bisher nur ein schmales Stück Marzipantorte gegessen hat.
»Ach nein, Kind«, erwidert sie. »Ich mag nicht mehr.« Dann wendet sie sich meinem Mann Laszlo zu und beginnt mit ihm über meine vorzüglichen Zimtsterne zu plaudern.
»Muddi, möchtest du jetzt noch ein Stückchen?«, frage ich nach einer Weile. Die aufmerksame Tochter weiß ja, was sich gehört.
»Nein, nein«, antwortet sie und schüttelt mit geschlossenen Augen und hochgezogenen Augenbrauen vehement den Kopf. »Gib deinem Sohn erst einmal eins. Er ist doch so dünn, der Junge!«
Philipp guckt genervt, denn er ist die besorgten Kommentare seiner Oma zu seinem Körpergewicht leid – zumal er keinesfalls untergewichtig ist.
Ich tue so, als hätte ich seinen Blick nicht bemerkt, und streichle schnell den Hund.
Mein Mann schlägt schnell ein neues Thema an und unterhält sich nun angeregt mit Muddi über den harten Winter. Na ja, um ehrlich zu sein, hat er dabei nicht viel mitzureden. Sie erzählt ihm ausführlich, welche Pflanzen in ihrem Garten diesen schrecklich kalten Winter voraussichtlich nicht überleben werden. Und dass sich die Besitzer der Garten-Center schon jetzt ins Fäustchen lachen, weil im Frühjahr alle, wirklich alle Gartenbesitzer kommen werden, um sich neue Pflänzchen zu kaufen.
Mein Mann nickt dazu. Ich sehe an seinem Blick, dass er gerade über seinen Computer nachdenkt und definitiv nicht bei der Sache ist.
Und meine Mutter scheint über die lange Berichterstattung, welch großartige Gewinne die Garten-Center angesichts des harten Winters im kommenden Frühjahr machen werden, glatt zu vergessen, dass es Kaffee und Kuchen gibt.
»Soll ich dir nun noch ein Stückchen von der Torte geben?«, nehme ich einen erneuten Anlauf, ihr etwas Gutes zu tun.
»Lieber nicht«, winkt sie ab. »Ich esse ja sonst auch kaum was … Ich weiß wirklich nicht, wieso meine Blutzuckerwerte so schlecht sind. Das kann doch gar nicht sein!«
Irgendwann später lässt sie sich dann doch erweichen, und am Ende hat sie schließlich drei Stückchen Torte gegessen und zwei weitere wandern in die Tupperbox für die Tage zwischen den Jahren.
Gegen Abend kochen wir zusammen. Das heißt im Klartext: Ich bereite stundenlang den Putenbraten vor – nebst Gemüse, Soßen und Kartoffeln. Erbsen und Möhrchen köcheln – Lafer! Lichter! Lecker! lässt grüßen – in nur leicht brodelndem Wasser gemächlich vor sich hin.
So weit, so gut. Dann jedoch begehe ich einen schwerwiegenden Fehler und überlasse die Küche meiner Mutter, meinem Sohn und meinem Gatten, da eine Nachbarin kurz vorbeischaut.
Mein Sohn berichtet mir später bis ins kleinste Detail, was danach geschah – und da ich alle drei gut kenne, zweifle ich keine Sekunde, dass Philipp alles ohne jegliches Ausschmücken Wort für Wort richtig wiedergegeben hat.
»Ich hab das vorhin mal höher gestellt!«, sagt Muddi. »Und abgegossen hab ich das Gemüse auch schon mal. Und umgerührt.«
»Aber dann wird’s breiig, das hättest du besser nicht machen sollen …«, erwidert Laszlo und verlässt verärgert die Küche.
Muddi wendet sich nun, zutiefst beleidigt, an ihren
Weitere Kostenlose Bücher