Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Geschichte!«
Ich rolle mit den Augen, trinke einen Schluck Cola und vertiefe mich in die SMS an meinen Gatten. Nein , schreibe ich ihm, haben wir noch nicht. Aber gleich.
Muddis unselige Erzählung hat Fahrt aufgenommen.
»Irgendwann dann, nachdem Laura bestimmt zwanzigmal auf- und abgetaucht war, hat ihr Bruder sich ein Herz gefasst, ist todesmutig in den Teich gesprungen und hat sie an Land gezogen.«
Die Zuhörer am Tisch sehen sich an und schütteln teilnahmsvoll die Köpfe.
Wenn meine Mutter diese Geschichte mit der ihr eigenen Theatralik erzählt, könnte man meinen, unser Gartenteich sei drei Fußballfelder groß gewesen und mein Bruder wäre mit einem zwanzig Meter langen Anlauf vom hölzernen Bootssteg ins kalte Wasser gesprungen. Bei ihr hört es sich an, als beherbergte dieser kleine Tümpel Schwärme von riesigen Koi-Karpfen, Barschen und Hechten. Von den zahllosen Fröschen und Molchen einmal ganz zu schweigen. Ihr zufolge mussten tonnenweise Froschlaich abgefischt, immens viele Wasserpflanzen beschnitten und Millionen von Jungfischen an Bekannte und Verwandte verschenkt werden.
Aber dieser Teich war in Wahrheit nur etwa drei Quadratmeter groß und einen Meter fünfzig tief. Die Wände waren aus Beton. Eine Seerose dümpelte im Wasser, und ungefähr zwanzig Goldfische schwammen darin munter umher.
»So schlimm war es ja gar nicht. Meine Mutter übertreibt«, wage ich leise anzumerken.
Pling. Laszlo scheint inzwischen doch recht irritiert zu sein. Kannst du mir bitte mal schreiben, was los ist? Hinter diese Worte hat er einen wütenden Smiley gesetzt.
Es ist alles wie immer , schreibe ich ihm zurück. Und das stimmt auch. Denn Muddi erzählt die Geschichte wie üblich ganz bis zum Ende, das mir besonders unangenehm ist.
»Das Beste ist«, sagt sie, »… und darüber muss ich jetzt noch schmunzeln … wie Kinder in dem Alter doch sind. So unbedarft, so ohne Furcht und ohne Ahnung, was hätte passieren können. Laura hat nämlich, als sie pitschnass am Rand unseres Teiches stand, gesagt …«
»Muddi! Nun lass doch!« Ich merke, wie mir das Blut in die Wangen steigt.
»Nein, Laura, nun lass mich doch erzählen, das war so niiiedlich!«, winkt sie ab.
Ich sinke in meinem Stuhl zusammen und lasse es einfach geschehen.
Meine Mutter zupft am Ausschnitt ihres Kostüms, streicht sich mit einer eleganten Bewegung über den Dutt und beschließt ihre Erzählung mit den unvermeidlichen Worten: »Laura hat immer nur gesagt: ›Mami, immer so hauf und hunter.‹ Hauf und hunter! Das sagte sie! Hauf und hunter!«
Die Runde lacht lauthals über die drollige kleine Laura.
Und mein Mann schickt mir noch eine SMS . Alles wie immer? Na gut, ich lass dir schon mal das Badewasser ein und stell den Wein kalt.
Na prima, dann kann ich nachher in Ruhe überlegen, wie ich demnächst effektiver verhindere, dass meine Mutter peinliche Geschichten aus meiner Kindheit erzählt. Dieses Mal habe ich jedenfalls kläglich versagt. Aber es gibt immer ein nächstes Mal. Ja, leider gibt es das.
37
»Butterstullen sollte er mitnehmen nach Japan!«
L aura, du musst den Wahnsinn stoppen!«, weist Muddi mich an diesem Donnerstag an.
Damit meint sie, ich solle Philipps Pläne, dieses Jahr nach Japan zu reisen, unterbinden. Was würde sie nur machen, wenn sie wüsste, dass zu Hause schon die Flugtickets für ihn und zwei seiner Freunde liegen?
»Muddi, das ist doch kein Wahnsinn. Den Flug hat er sich zusammengespart. Und nachdem er die Schule mit so einem hervorragenden Zeugnis abgeschlossen hat, hat er sich das verdient, finde ich.«
»Na, das ist ja mal eine tolle Belohnung«, sagt Muddi, seufzt und rührt ihren Kaffee um. »Warum fährt er nicht einfach für eine Woche in den Harz? Wir sind doch damals auch in den Harz gefahren, manchmal nur für einen Tag, weißt du noch? Ganz früh morgens sind wir los, und spätabends waren wir wieder zu Hause. Wunderschön war das, Laura!«
Oh ja, daran erinnere ich mich gut. Muddi weckte meinen Bruder und mich um fünf Uhr morgens. Ich ging artig ins Bad, putzte meine Zähne und zog mir dann die von Muddi zurechtgelegte Kleidung an. Meist war es ein kurzer Faltenrock, kariert, dazu ein Blüschen, das unter den Armen kniff. Ich war etwa sieben Jahre alt und hasste kurze Faltenröcke und kneifende Blüschen.
In der Küche briet meine Mutter bereits Spiegeleier. Die Brote, auf die diese Eier anschließend gelegt wurden, befanden sich bereits, mit einem Fingerbreit Butter bestrichen,
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