Mutti packt aus
Legosteine mit Initialen, zähneknirschend fräste ich Demarkationslinien ins Parkett, markierte Handtuchhalter und Garderobenhaken mit lustigen und charakterlich passenden Plastikschlümpfen als private no-go-area, sortiere täglich tausend Socken nach Besitzern, beschrifte Lieblingsjoghurts und moderiere noch heute schmerzfrei stundenlange Debatten, in denen die Eigentümerschaft an einem Stein erörtert wird, der wie ein Fahrradsattel aussieht und den eines der Kinder – welches war es noch gleich? – am Ostseestrand gefunden hat. Anschließend lasse ich noch immer den fraglichen Gegenstand heimlich verschwinden, damit nicht alles wieder von vorne losgeht.
Von vorne geht es trotzdem wieder los, weil meine jüngste Tochter ihren eingebildeten Kleidungsmangel in fremden Schränken kuriert und Elster praktisch ihr zweiter Vorname geworden ist. Ich nehm’s ja noch hin, wenn sie mir in meinen T-Shirts begegnet, in meinen Seidentüchern vorbeiflattert, sich beim Anprobieren meiner BHs erwischen lässt, sich an meinem Shampoo gütlich tut und längst meine ganze Schminke verbastelt hat. Auch Charlottes Schwester sucht ihre Spaghettiträger-Tops inzwischen stoisch zuallererst im Nest der Elster. Ja, seit sie sogar dieselbe Schuhgröße teilen, hat sich eine Art Gleichgewicht des Schreckens eingependelt. Doch nun flippt der Jüngste aus, weil sie ihre Raubzüge neuerdings auf seine Bestände ausdehnt. »Die blöde Kuh hat meine Fußballhose angezogen!«, klagt er schrill. »Na und?«, sagt der große Bruder. »Is doch nix dabei. Soll sie das Teil halt wieder rausrücken!« Er wiegt bedächtig den Kopf, gibt den weisen Richter Salomon. »Deswegen gehört sie dir doch immer noch!« Jetzt heult der Kleine. Er beäugt fassungslos bis angeekelt das blauglänzende Stoffknäuel in seiner Faust, die Knöchel sind weiß, das rote Gesichtchen buchstabiert blanke Verzweiflung. Der große Bruder legt tröstend den Arm um ihn. Mit einem Ruck macht sich der kleine los und stößt hervor: »Gar nichts ist gut. Ich kann nie wieder zum Fußball. Da ist jetzt nämlich Muschischweiß drin und der geht nie wieder raus!«
Simply the best …
»Ist der hier der Beste von allen?« Energisch justiert mein Jüngster den Zeigefinger auf das Porträt vom Mitarbeiter des Monats, das im Baumarkt neben der Kasse hängt. Daneben prangt ein Briefkasten, in den man seine Vorschläge werfen kann. Nachdenklich legt er den Kopf schief. »Kann ich auch mal der Beste sein?« Flüchtig schaue ich in seine Richtung, balanciere drei Tapetenrollen in der linken, einen Eimer Farbe in der rechten Hand. Die Tüte mit dem Pinsel- und Rollensortiment unter den Arm geklemmt, den Parkschein zwischen den Zähnen, versuche ich nuschelnd abzuwiegeln. »Bist du doch schon! Mein Allerbester! Und jetzt sei so gut und halt mir mal die Tür auf.«
Das war ein Riesenfehler.
Mit einem einzigen Satz sind sie alle vier an der Tür, reißen sie auf und verbeugen sich so unterwürfig wie die Diener in alten Schwarzweißfilmen. Ich spaziere hindurch wie die huldvoll nickende Queen auf Besuch bei ihrer Lieblingskompanie aus den schottischen Highlands und erwäge kurz, mich aus der Affäre zu ziehen, indem ich einfach weggehe. Denn ich weiß genau, was jetzt kommt.
Hinter mir werden augenblicklich die Krallen ausgefahren. Gegen spontane Eruptionen familieneigenen Konkurrenzdenkens ist einfach kein Kraut gewachsen. Verbieten? So sinnvoll wie ein Überholverbot beim Formel-1-Rennen. Ig norieren? Macht alles nur noch schlimmer. Allein die Fähigkeit begnadeter Schlichter, anlässlich berühmter Geiselnahmen stundenlang beifällig zu nicken, währen d fanatische Terroristen ihre Lebensphilosophie darlegen, könnte die aufgebrachten Gemüter vielleicht beruhigen. Doch dieses Talent ist mir nicht gegeben. Wenn die erbitterten Kämpfe mit verteilten Rollen an verschiedenen Fronten ausbrechen, kapituliere ich sofort, weil ich mein eigenes Leben retten will. Wenigstens versuchsweise schwelge ich in Tagträumen, die sich um die Kunst des Verschwindens drehen. Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise, der Ozean braucht keinen Applaus. Beam me up, Scotty, hier unten wird es langsam ungemütlich. Herr Frodo, könnten Sie mir bitte mal ganz kurz ihren phantastischen Ring ausleihen, ich geb ihn auch bestimmt zurück. … Es ist wie mit dem Fahrrad über Bahnschwellen fahren. Man kommt zwar ans Ziel, aber spürt jeden Knochen im Leib.
Scotty lässt sich nicht blicken, und kaum sitzen wir im
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