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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kühn
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Allerdings würde ich mich nie durch den Druck einer selbstgerecht auftretenden Umwelt dazu bringen lassen, mein Kind anders zu behandeln, als ich es eigentlich vorhat te. Ich bin schließlich keine Mutter, die sich wie eine entfesselte Furie auf jeden Menschen stürzt, der es wagt, mahnend den Finger zu heben, weil ihm Mamas Sonnenschein gerade mit dem Skateboard über die Zehen gefahren ist.
    Doch wie bringt man die komplizierte Wahrheit rüber, dass man lernen muss, sich akzeptabel zu verhalten, ande re Leute nicht zu ärgern und in Verlegenheit zu bringen? Aus Höflichkeit zu lügen oder wenigstens zu schweigen ist ihre Sache nicht. Dabei geh ich doch mit gutem Beispiel voran. »Macht doch nichts!«, rufe ich jovial, wenn mir eine alte Dame im Supermarkt den Einkaufswagen in die Ferse rammt. »Klar, kein Problem, bring den Kleinen her!«, täusche ich allseits bereite, belastbare Herzensgüte vor, wenn der Babysitter meiner Freundin ihr just eine Minute vorm Termin absagt – sogar wenn ich gerade meine Kinder erfolgreich verabredet habe, um endlich mal wieder ins Kino zu gehen. »Wahnsinn, diese Lasagne!«, schwärme ich mit vollem Mund angesichts des unübersichtlichen Matsches, den mein Nachbar mir kredenzt – nur, um seine Gefühle nicht zu verletzen.
    Vergeblich ist all diese Liebesmüh. Sie sind gnadenlos ehrlich und gerne sehr aufrichtig. »Ihh, hast du viele Falten!«, ruft meine Tochter nach einem langen kritischen Blick. Und im Bikini zeige ich mich nie wieder seit diesem Tag im Schwimmbad vor zwei Jahren, als ich aus der Umkleidekabine kam und dann – nein, das sage ich jetzt wirklich nicht.
    Doch hin und wieder lügen sie doch schon ganz ordentlich. »Klar habe ich meine Zähne geputzt«, beteuert mein Sohn, obwohl ihm die Schokolade noch im Mundwinkel klebt. »Total schlecht ausgefallen, die Mathearbeit. Fast alle haben eine Fünf!«, schwört sein Bruder und lässt den Notenspiegel verschwinden. »Keine Ahnung, wer den Pudding aufgegessen hat«, geben sich meine Töchter ahnungslos und die kleine kickt schnell die leere Schüssel unters Bett.
    Doch es gibt Hoffnung. Ich weiß das seit der letzten Busfahrt. Offenbar ist ein wenig Erziehungssaat im steinigen Boden gekeimt.
    Als ein grünhaariger, kettenklirrender Punk einstieg, sich auf die Bank gegenüber fläzte und, während seine Ratte von der Schulter purzelte, freundlich rülpste, lächelte mich mein Jüngster wissend an. »Guck mal, Mama, der da. Über den da müssen wir zu Hause unbedingt noch reden!«

Macht doch nichts!
    »Ich muss dir was Schlimmes sagen, aber du darfst nicht schimpfen«, wispert mein Sohn kleinlaut und verbirgt die Hände hinter dem Rücken. Ich kriege einen Mordsschreck, sehe Unfälle, Katastrophen und Feuersbrünste vor meinem entsetzten geistigen Auge, nehme zwei Valium, atme tief durch. »Was ist passiert?«, frage ich so gefasst wie möglich. Wortlos reicht er mir etwas Schwarzes, Verfilztes, Kratziges, Nasses. Entsetzt weiche ich zurück. »Dein Pullover«, flüstert er. »Ich habe ihn gewaschen. Aber die anderen Sachen sind okay.« Und schon reißt der dünne Firnis mütterlicher Zivilisation. Mein Lieblingspullover! Rot läuft’s mir in die Augen und weil ich jetzt aus dem Stand heraus zur Schreimutter mutiere, entgeht mir fast die Träne, die über sein Gesicht rollt. Dass er jedes Schildchen durchgelesen hat, bevor er ein Teil in die Waschmaschine gestopft hat, beteuert er, aber am Pullover war keins dran! Mir wird ganz schlecht. Ich grausame Monstermutter! Dabei wollte er doch nur helfen! »Macht doch nichts, kann doch jedem mal passieren«, lüge ich, setze mich auf meine Hände und esse meine Worte. Im Handumdrehen mache ich aus dem Donnerwetter warmen Sommerregen. Wir haben den winzigen Pullover, steif wie ein mittelalterliches Kettenhemd, zuerst trocken geföhnt und dann huldvoll seinen Schwestern geschenkt, die es ihren Puppen angezogen haben.
    Seitdem bin ich geläutert und achte peinlich genau darauf, ein Missgeschick der Kinder nicht noch schlimmer zu machen, indem ich unsensibel über einen gewissen Wiedererkennungseffekt schwadroniere: Du schon wieder, war ja klar!
    Seit Jahren übe ich täglich, Missgeschicke einfach wegzulächeln. Statt zu fluchen und zu toben, spreche ich mit dem Lächeln einer Madonna von kleinen Malheurchen, wenn ich mit Scherben, Splittern, Kratzern und Flecken konfrontiert werde. Eisern nehme ich den Willen für das Werk und orientiere mich am Vorbild eines sehr erfahrenen

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