Mutti packt aus
ihren erbärmlichen Geist auf! Und gerade heute! Übermorgen will die Kleine auf Klassenfahrt gehen, und wer jemals eine Horde 13-jähriger Mädchen auch nur zehn Minuten auf der Rückbank im Bus erlebt hat, weiß, wovon ich spreche. Ich muss noch einkaufen, den Ältesten vom Sport abholen und schließlich auch arbeiten. Hastig inhaliere ich in der Küche ein Schoko-Croissant und überlege, wem meiner Freundinnen ich jetzt auf die Schnelle Lieblings-BHs, -tops und -jeans andienen kann. Da wird es plötzlich unangenehm nass an meinen Füßen. Mayday! – Chantal, die Spülmaschine, macht auf Solidarität mit Man dy und spielt Oder-Hochwasser, selbstverständlich, bevor sie das Geschirr gesäubert hat. Mir läuft’s rot in die Augen vor Wut über den Verrat. Ich hasse Haushaltsgeräte, die öfter zusammenbrechen als ich! »Ruhig, Brauner!«, witzelt mein Jüngster und fängt an, aufzuwischen. Ich schnaufe jetzt wie ein sterbender Wal. Ich muss an den Schreibtisch, ans Telefon, sonst werde ich nicht mal die Reparaturen bezahlen können! Ommmm, fächele ich mir zu, und verziehe mich ins Bad, um meine Haare zu kämmen. Das beruhigt manchmal. Ein Blick in den Spiegel sagt: Spiegel heute meiden. Nein, nicht mein Tag.
Am späten Nachmittag – die Arbeit ist mehr schlecht als recht erledigt, der Monteur kann erst in fünf Tagen kommen, weder waschmaschinenbesitzende Nachbarn noch Freunde waren bis jetzt zu erreichen, der Große war schon weg, als ich ihn abholen wollte, im Supermarkt ist mir ein Rollstuhlfahrer in die Hacken gefahren und erwartete dafür von mir eine Entschuldigung – versuchen meine Tochter und ich zu ergründen, was es mit dem Term 2(5p-q)+3(2q-p)-4(2p-3q) auf sich hat. Flankierend kleine Leckerlis darbietend, halte ich sie dazu an, sich zu konzentrieren und kurzzeitig an etwas anderes als ihre Klassenfahrtgarderobe zu denken.
Bei Leckerli Nummer drei lehnt sie sich mümmelnd zurück und macht meinen Tag plötzlich zu dem tollsten seit Jahren:
»Mama, wir haben heute in der Hofpause abgestimmt, wer die schönste Mutter hat. Jetzt rate, wer gewonnen hat.« Ich schweife um die Mädels und deren attraktive Mütter, in deren Gegenwart ich mir stets vorkomme wie Queen-Mum bei Germanys Next Topmodel. »Hm, Anna-Lena? Julia?« »Naaaaiiin … du hast noch zwei Versuche.« »Indira!« »Naaaaiiin.« »Hm, ach, ich hab’s – Sophie! Ja, es kann nur Sophies Mutter sein.« Sie grinst und freut sich wie ein Kater, der gerade einen Papagei verspeist hat. »Ich hab gewonnen!« Ist nicht wahr! Ach! Ich die schönste Mutter der Klasse? Wow! In mir öffnen sich alle längst verschlossen geglaubten Türen, ich weine vor Glück. Hey Mandy, hey Chantal, meine Getreuen! Wenn man sich mal überlegt, wie lange ihr schon still funktioniert, kann man ja nur dankbar sein. Der Monteur? Klar, der kommt deshalb erst in fünf Tagen, weil er sich für mich halt etwas mehr Zeit nehmen will, um mich zu bewundern und meine Schönheit zu preisen. Und der Große, ach, der wollte mir schlichtweg einen Gefallen tun, indem er schon selbst nach Hause gefahren war – konnte ja nicht wissen, dass ich mich tatsächlich wie sonst auch immer auf den Weg mache, ihn abzuholen. Dringend muss ich dem Rollstuhlfahrer aus dem Supermarkt eine Schachtel Pralinen zukommen lassen – ich hätte ja wirklich besser aufpassen können. Und wenn mich nicht alles täuscht, dann klingelt bestimmt gleich das Telefon, und meine Nachbarin fragt, ob zufällig meine Waschmaschine eine Pause bräuchte und sie mir aushelfen darf. Ach, Süße, you made my day ! Komplimente von Dreizehnjährigen stimmen immer, denn sie sind Experten für Schönheit, weil sie sich den lieben langen Tag mit nichts anderem beschäftigen.
Tirilierend geht mir am Tag drauf alles so leicht von der Hand, dass ich mich spontan bereit erkläre, für die Kleine und ihre Mädels Kartoffelpuffer en masse herzustellen. Nein, nicht die tiefgefrorenen! Ich reibe und raspele und backe und koche Äpfel – und freue mich fast auf das Siebenergeschwader, das gleich vor der Tür stehen wird, um endgültig die Klassenfahrtklamotten abzustimmen. Nur noch schnell ins Bad, fix das Gesicht aufpoliert und die Haare glänzend gebürstet. Halt! – was habe ich denn für eine schäbige Jeans an? Das geht besser! Jetzt aber nicht kindisch werden, Mutter, denke ich noch – und vertausche geschwind Flip-Flops gegen gepunktete Clogs. Ja, dieser Rekord ist einfach phänomenal, den muss ich aufrechterhalten.
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