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Mutti packt aus

Mutti packt aus

Titel: Mutti packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kühn
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Frage in den Startlöchern hockt. »Echt? Aber warum denn nicht?«, zwitschert es auch schon glockenhell. Seinem großen Bruder fällt mal wieder die Stirn in die offene Hand. »Mann, ey, die wollen’s einfach nur machen und nicht immer Kinder davon kriegen.« Ich ziele mit beiden Augen auf meinen großen Jungen und hoffe inständig, mit dem strengsten meiner strengen Blicke das Gehege seiner Zähne schließen zu können. Denn ich habe keine Lust, mit einer großen Runde johlender kleiner Leute die Finessen gelegentlicher Fruchtbarkeitslust zu erörtern. Dabei bin ich gar nicht verklemmt oder sonst wie in dieser Richtung belastet. Wo meine Eltern an diesem Thema tunlichst nicht gerührt haben und nur verschämt etwas von Bienen, Blumen und unreinen Gedanken vernuschelten, bin ich grundsätzlich schon bereit, mich der Wissbegier aufs Geschlechtliche mit lächelndem Sachverstand zu stellen. Ist doch nix dabei! Schon weil ich fürchte, dass jede Frage, die ich nicht beantworte, jemand anderes beantwortet und am Ende noch das Fernsehen die verwirrende Vorstellung vermittelt, Babys entstünden beim Küssen, mühe ich mich redlich. Beherzt stemme ich mich Schulhofgerüchten entgegen, die eine so irritierende Darstellung der Fortpflanzung liefern, dass meine Töchter sich früh schworen, für immer und ewig Jungfrau zu bleiben. Das habe ich mit vertraulichen Frau-zu-Frau-Gesprächen hoffentlich ausgeräumt. Ganz offensichtlich ist aber auch mir als aufgeklärte, ernsthaft bemühte Mutter, die dachte, eine offene, ungezwungene Atmosphäre würde der Faszination des Unanständigen, dem albernen Gekicher und dem Übertrumpfen mit schmutzigen Ausdrücken den Wind aus den Segeln nehmen, kein Erfolg beschieden. Mit den Fragen der Kinder komme ich halbwegs zurecht, aber das Strandgut aus dem Sexualkundeunterricht, das der Redefluss meiner Kinder an unseren Küchentisch spült, stürzt mich in heillose Verwirrung.
    Der Kelch bleibt wieder genau vor mir stehen. »Weißt du eigentlich, wie doggy style geht?«, erkundigt sich mein Jüngster in wohldosierter Beiläufigkeit. Und während mir vor Schreck das Käsebrot aus dem Gesicht fällt, ritzt er verträumt einen Smiley in die Butter. »Na, von hinten!«, johlt seine Schwester, und sein Bruder setzt ein Grinsen auf, das reif für die 90-Grad-Wäsche wäre. Der Kleine lässt sich nicht lumpen und verblüfft uns jetzt mit den vorläufigen Erkenntnissen, die er heute in der Schule beim Besuch von pro familia über Sex und verwandte Peinlichkeiten gewonnen hat. Verzweifelt versuche ich, das sichere Erwachsenenterrain der Fortpflanzung mit einer angemessen langweiligen Erklärung biologischer Grundbegriffe zurückzuer obern. Bevor ich mein Kurzreferat jetzt mit ein paar aufmunternden Bemerkungen zur Pubertät krönen kann, posaunt er heraus, was man mit Kondomen so alles machen kann. Sachen gibt’s da! Als Wasserbomben sind sie ganz gut. Man kann sie aber auch über den Kopf ziehen und mit der Nase aufblasen. Sieht echt lustig aus, weil man dann eine Zipfelmütze hat. Und die Mädchen, sagt er, haben welche mit Erdbeergeschmack bekommen. Wozu das wohl gut sei? Erdbeergeschmack. Ein Rätsel, das er hemmungslos vor seinen Geschwistern und unseren Gästen – seinem Freund aus dem Fußballverein (10), seiner Cousine (9) und seinem Cousin (11) – erörtert. Die wissen allerdings auch nicht, wozu Erdbeergeschmack gut ist. Muss ich das jetzt erklären?
    An diesem Abend kommen viele Wörter vor, die über 12 Jahre alte Menschen verwirren, ja sogar schockieren können. Ich überlege, ob ich auf dem Elternabend den Lehrer und den Sexualkundler von pro familia wohl einladen kann, mein Befremden zu teilen, ohne gleich mit den muslimischen Vätern, die alles verbieten, in einen Topf geworfen zu werden. Zwar habe ich die Petitessen des Sexualkundeunterrichts bei den drei Älteren halbwegs hinzunehmen gelernt, Bananen-und-Kondom-Experimente gestattet, Tampons-und-Wasser-Versuche geduldet, beim Beschriften von Unterleibszeichnungen in Arbeitsblättern assistiert, aber das? Mir wird ganz blümerant, als der Jüngste jetzt die Preise für Puffs und Bordelle referiert, die er bei pro familia erfahren hat. »Da gibt’s auch Betten, um einen kompletten Geschlechtsverkehr durchzuführen«, kräht er fröhlich. »Sonst kostet es 50 Euro, auf der Straße, wenn’s ganz schnell gehen soll.« So viel weiß er jetzt. Dass Schwulsein nicht schlimm ist, wusste er schon vorher. Immerhin.

Ich hab jetzt auch

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