My Lady 0145 - Sheila Bishop - Der geraubte Kuss
auch hin und wieder an Madeleine“, erwiderte Flora.
„Ich glaube, er ist in sie verliebt.“
Jäh gellte ein Schrei durch die Abenddämmerung. Entsetzt drehte Flora sich um und sah, daß Mr. Foresters Gespann aus der Spur geraten war, sich aufbäumte und die Karriole umzuwerfen drohte.
„Was ist los?“ wollte Bernard wissen, ohne den Blick von seinen Pferden zu lassen.
„Ich vermute, Mr. Foresters Pferde sind durch irgend etwas verstört worden“, erklärte Flora. „Aber nun haben sie sich beruhigt.“ Die Karriole rollte wieder mit beiden Rädern über die Straße, und die Rappen trabten gleichmäßig voran.
„Halt an!“ schrie Madeleine und klammerte sich an Lionels Arm. „Du mußt sofort anhalten! Du hast den Mann umgefahren! Das weißt du ganz genau!“ Lionel dachte nicht daran, ihrer Bitte nachzukommen. „Um Himmels willen, halt den Mund!“ herrschte er sie an, bevor er den Phaeton einholte und neben ihm fuhr. „Kein Wunder, daß die Pferde durchgehen, wenn du so kreischst! Ich habe niemanden umgefahren. Das hast du dir nur eingebildet.“
„Doch, dawar ein Mann!“ entgegnete Madeleine beharrlich. „Ich habe ihn gesehen.“
Lionel warf einen Blick über die Schulter zurück. „Wenn wirklich jemand dort war, ist er jetzt verschwunden“, brummte er unwirsch.
„Wohin kann er gegangen sein?“ fragte Bernard verwundert.
„Wahrscheinlich ist er über die Hecke gesprungen und hat das Weite gesucht“, antwortete Lionel achselzuckend.
„Warum denn das?“
„Weil er ein Wilddieb war und nicht erwischt werden wollte“, erklärte Lionel. „Wer sonst würde wohl zu dieser Zeit hier durch die Gegend schleichen? Steigen Sie doch aus, und suchen Sie ihn, wenn Sie mir nicht glauben! Ich jedenfalls fahre nach Haus.“
Niemand wagte, ihm zu widersprechen Jeder hatte gemerkt, daß es später geworden war als beabsichtigt. Madeleine und Flora mußten so schnell wie möglich heim, wenn man Ärger vermeiden wollte.
Schweigend lenkten Bernard und Lionel die Gespanne nach Parmouth, und nach einigen Minuten fiel Flora auf, daß sie keine Gelegenheit mehr haben würde, noch am selben Tag mit der Freundin zu reden. Man hatte beschlossen, sie und Madeleine so nahe wie möglich am elterlichen Haus abzusetzen, damit sie den letzten Rest des Weges zu Fuß zurücklegten.
Aber inzwischen hatte sie nur noch den Wunsch, endlich daheim zu sein. Der Ausflug war schön gewesen, doch der Zwischenfall auf der Straße hatte sie aus der Fassung gebracht, und das schlechte Gewissen regte sich.
Olivia hatte einen ruhigen Tag verbracht und sich mit den Vorbereitungen für eine Dinnerparty beschäftigt, die am Wochenende stattfinden sollte. Die Osgoods, die Walkers, Mr. Brooke und Mr. Forester hatten die Einladung angenommen. Mr. und Mrs. Channing hatte sie unter Hinweis auf die schlechte Gesundheit des Captain dankend abgelehnt, jedoch ihrem Sohn gestattet, an dem Diner teilzunehmen.
Es bereitete Olivia Unbehagen, wenn sie daran dachte, daß Thomas Brooke kommen würde, und gleichzeitig ärgerte sie sich über sich selbst. Es war lächerlich, in ihrem Alter Angst davor zu haben, den von ihr abgelehnten Verehrer als Gast begrüßen zu müssen.
Gegen Abend fiel ihr auf, daß die Cousine noch immer nicht zurück war, und langsam begann sie, sich Sorgen zu machen. Endlich erschien Flora im Salon, und etwas gereizt sagte sie: „Ich habe mich schon gefragt, wo du so lange bleibst! Oh, du siehst ja halberfroren aus! Ist es sehr kalt?“
„Ja“, antwortete Flora fröstelnd und ging zum Kaminfeuer, um sich aufzuwärmen.
„Bin ich sehr spät?“
„Nein, nur einige Minuten. Wir dinieren heute etwas eher, weil dein Vater den Vikar zum Schachspiel erwartet. Wie war es bei Madeleine? Habt ihr euch gut amüsiert?“
Flora gab eine ausweichende Antwort und sprach auch beim Essen nicht sehr viel.
Nach dem Dinner traf der Geistliche ein. „So, da bin ich!“ sagte er fröhlich.
„Diesmal, Sir, revanchiere ich mich für die letzte Niederlage und werde Sie besiegen!“
Sobald die Herren sich in die Bibliothek zurückgezogen hatten, verkündete Flora, sie sei müde und wolle sich unverzüglich zu Bett begeben.
„Du wirst doch hoffentlich nicht krank!“ sagte Olivia besorgt.
„Nein, es ist alles in Ordnung“, erwiderte Flora. „Gute Nacht, Olivia.“ Allein gelassen, verspürte Olivia den Wunsch, sich abzulenken, um nicht über Thomas Brooke nachzudenken. In der Absicht, sich ein halbgelesenes Buch zu holen, das
Weitere Kostenlose Bücher