My Story. Streng geheim. - Aller guten Jungs sind drei
er trug einen Anorak, der ihm einige Nummern zu groß war, und Stiefel, die eindeutig nicht die seinen waren. Kurz, er sah unmöglich aus. »Euer Haustelefon funktioniert nicht«, sagte er und nahm den Hut ab. »Mensch, bei euch gibt’s was zu essen.«
»Setz dich«, forderte Rosi ihn auf.
»Aber erst wenn du die nassen Klamotten ausgezogen hast. Ich hab gerade die Küche gewischt.« Yasmina stand auf, um ihm Anorak und Hut abzunehmen.
»Geht nicht.« Er schielte aufs Essen. »Ihr müsst kommen. Ein Notfall.«
»Wusst ich’s doch«, jammerte Yasmina. »Jemand ist abgestürzt. Oder hat der Sturm das Dach von Neles Haus gerissen? Ich nehme an, du bist oben geblieben, weil du es nicht mehr zu Zenza geschafft hast.«
Emir nickte. »Nele und ich standen in dem Augenblick vorm Haus, als es zum ersten Mal blitzte. Ihr Vater sagte, ich soll bleiben. Na ja, da bin ich eben geblieben. Es war ziemlich schlimm, was?«
Wir nickten. »Was ist mit dem Notfall? Ist es das Dach? Eingedrückte Fenster?«
»Schlimmer.« Emir schielte so hungrig auf den Tisch, dass Gundi ihm eine dick mit Butter beschmierte Scheibe Brot reichte. Dazu holte er sich von meinem Teller die kalte Weißwurst. »Danke. Ich muss sagen, da oben im Haus ist’s ziemlich ungemütlich. Neles Vater denkt nicht an Essen, Nele hat keinen Appetit, und überhaupt …«
»Der Notfall«, erinnerte Rosi. »Sag schon. Was ist los?«
Emir seufzte. »Mitten im schlimmsten Hagel hat ein Mann die Tür mit den Fäusten bearbeitet. Wir sind raus. Klar. Er sagte …«
Plötzlich verzog Emir das Gesicht, als wollte er im nächsten Moment losheulen. »Er hat sein Kind verloren. Ein fünfjähriger Junge ist’s. Stellt euch das vor! Der Kleine war allein in diesem Sturm!«
»Und das sagst du erst jetzt?«, herrschte Gundi ihn an. »Habt ihr die Bergwacht alarmiert?«
Emir nickte. »Wir haben’s versucht. Aber das Telefon geht nicht und mit dem Handy war’s auch nichts.«
Rosi sprang auf, griff nach ihrem Handy, sauste raus und rutschte in ihren dünnen Sandalen mitten durch die Hagelkörner rüber zum Empfangswinkel.
Während wir warteten, verdrückte Emir Brot und Wurst und trank meinen Tee.
Als Rosi zurückkam, warf sie das Handy auf den Tisch. »Nix zu machen. Kein Empfang. Wer kommt mit?«
Ich hätt’s mir ja denken können, dass Rosi nicht hier in der gemütlichen Küche bleiben würde. »Das hatten wir ja schon mal«, knurrte ich. »Ich zieh mich an. Marta, kommst du mit?«
Wenige Minuten später standen wir fünf neben Emir: in Anorak, mit Mütze, Schal, Handschuhen, dicken Socken und Bergstiefeln.
»Wo?«, fragte Rosi und teilte Taschenlampen und Trillerpfeifen aus.
»Irgendwo oberhalb von Neles Haus. Ihr Vater und der Vater des Kleinen warten auf uns.«
Inzwischen nieselte es; am Himmel zogen die Wolken ab, das fiese Gelb war verschwunden, dafür schienen die letzten Strahlen der Sonne durch eine kleine Lücke aufs Weiß. Vom Weg war natürlich nichts zu sehen. Wir stapften bergauf und brauchten für die Strecke doppelt so lange wie sonst, denn die Hagelkörner waren wie loses Eis - was es ja auch war.
Rosi und Gundi waren viel schneller als wir. Yasmina und
Marta hielten sich an den Händen, keuchten und jammerten und Emir zog mich mit sich. Klar, er ist stärker und größer als ich.
»Blöd, dass Ignaz und Franzl nicht hier sind«, sagte er. »Die wären uns eine echte Hilfe.«
»Bin ich vielleicht keine Hilfe?«, brauste ich auf. »Du hättest mich erleben sollen, wie wir Anna, die Kuh, vom Fels retteten. Oder die Frau, die gestürzt war.«
»Weißt du, Zippi, wenn ich an den Kleinen denke, wird mir ganz übel«, gestand Emir. »Ich wollte dich echt nicht kränken.«
Weil ich so keuchte - durch knöcheltiefe Hagelkörner bergauf zu gehen, ist eine echte Herausforderung -, verzichtete ich auf eine Antwort. Stattdessen nahm ich mir vor, Emirs Oma Sevde einen lieben Dankesbrief zu schreiben. Ohne ihre Hartnäckigkeit hätte ich niemals Mütze, Schal und Handschuhe eingepackt. Und nun brauchte ich sie schon zum zweiten Mal. Da aller guten Dinge drei sind, erwartete mich also noch ein Abenteuer, dachte ich, dann standen wir vor dem Haus, in dem Nele mit ihrem Vater die Ferien verbringt.
In eine dicke Decke gewickelt, stand sie an der Tür. »Mein Vater und der Mann, der sein Kind verloren hat, sind schon los«, erklärte sie gerade Rosi und Gundi.
»In welche Richtung sind sie gegangen?«
Nele deutete mit dem Daumen nach oben.
»Haben sie
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