My Story - Streng geheim - Kein Kuss fuer Finn
drückte, zwang ich mich, meine Aufmerksamkeit wieder auf die Bücher zu lenken. Zu meinem Erstaunen half es mir tatsächlich, mit ihm zu lernen. Finn konnte unheimlich gut erklären, sodass ich plötzlich auch Zeug kapierte, das bisher für mich in die Kategorie »Fachchinesisch - vollkommen unverständlich« gehört hatte. Als wir schlieÃlich unsere Sachen zusammenpackten und Finn sich verabschiedete, war es drauÃen schon dunkel.
Er war kaum zur Tür hinaus, da steckte Mom schon den Kopf in den Gang. »Der war nett«, meinte sie vielsagend. »Habt ihr wirklich nur gelernt?«
Nein, ich habe ihm auch noch etwas geklaut. »Was denn sonst noch?«
»Nun ja, er ist sehr nett und auch ziemlich hübsch -«
»Mom!«, fiel ich ihr ins Wort. »Blumen sind hübsch, meinetwegen auch Bilder, aber Jungs doch nicht!«
»Dann sieht er eben cool aus.«
»Süë, korrigierte ich.
»Das ist dir also aufgefallen.«
Ich müsste blind sein, wenn ich das nicht bemerkt hätte. Allerdings würde ich den Teufel tun, das Mom zu sagen. Vermutlich war es auch so schon zu spät. Auch wenn ich es oft hoffte, war Mom nicht vollkommen ahnungslos. Ich konnte mich also darauf einstellen, in der nächsten Zeit regelmäÃig Fragen nach Finn zu beantworten. Wenigstens heute wollte
ich einem Verhör entgehen. Ich drehte mich um und wollte die Treppen hinauf.
»Ist er dein Freund, Charlie?«, fragte Mom in meinen Rücken hinein.
»Nein, ist er nicht«, rief ich über die Schulter nach unten. Als ich am oberen Treppenabsatz angekommen war, blieb ich stehen. »Er ist ein Freund. Aber nicht so einer, wie du denkst.«
»Hat er schon eine Freundin?«
»Könntest du wohl bitte damit aufhören!«
»Also ja.«
»Nein! Er hat keine Freundin!« Zumindest nicht, soweit ich wusste. Wenn doch, musste sie wirklich weit weg wohnen und nur alle paar Monate zu Besuch kommen, denn bisher hatte er niemanden erwähnt. AuÃerdem habe ich weder gesehen, dass er irgendeiner Tussi hinterherlief, jemanden mit Blicken verschlang oder aus der Ferne vergötterte. Nein, Finn war definitiv Single. Hoffentlich!
»Charlie, du weiÃt, dass du immer zu uns kommen kannst, wenn dich etwas beschäftigt«, fuhr Mom fort. »Wenn du etwas wissen willst, egal was, dann -«
»Mom!« Finn hatte mich noch nicht einmal um ein Date gebeten und sie wollte mir schon ein Aufklärungsgespräch ans Knie nageln! »Ich kenne mich da aus.«
Für einen Moment sah sie mich so entsetzt an, dass sie mir beinahe leid tat. Dann nickte sie. »Deine Mädchenzeitschriften«, seufzte sie fast erleichtert. »Aber falls es doch noch etwas gibt â¦Â«
»Ja, danke.« Ich machte schnell kehrt und flüchtete in mein Zimmer. Während ich abwartete, ob Mom mir folgen oder mich erst einmal in Ruhe lassen würde, räumte ich das Geschirr zusammen. Als Mom nach einer Weile immer noch
nicht aufkreuzte, war ich mir sicher, dass ich vorerst von weiteren gut gemeinten Ratschlägen verschont bleiben würde. Da holte ich das Blatt, das ich aus Finns Ordner stibitzt hatte, aus der Schublade und lieà mich damit in den Sessel fallen.
Eine ganze Weile starrte ich nur unentschlossen auf das Papier, ehe meine Neugier siegte und ich zu lesen begann. Erst hatte ich Schwierigkeiten, Finns Handschrift zu entziffern, nach ein paar Zeilen fiel es mir dann leichter. Es war ein Gedicht - und kein schlechtes. Die Worte klangen hochtrabend und altmodisch. Sicher hatte er sich da von Romeo und Julia inspirieren lassen. Finn war also nicht nur ein talentierter Schauspieler, sondern konnte noch mehr! Trotzdem war ich gezwungen, die Zeilen gegen ihn zu verwenden.
10
A m nächsten Morgen kam ich sehr früh in die Schule. Der Hausmeister hatte zwar schon aufgesperrt, doch die Gänge waren um diese Zeit noch wie ausgestorben. Mein erster Weg führte mich zum Kopierer im Sekretariat. Frau Sonnleitner, die Sekretärin des Rektors, war gerade nicht an ihrem Platz, sodass ich mir ungeniert, und ohne Fragen beantworten zu müssen, fünfzig Kopien von Finns Gedicht ziehen konnte. Ich nahm die noch warmen Blätter aus dem Abwurffach und platzierte einige auf dem Empfangstresen (wo sie im Laufe des Tages hoffentlich viele Schüler zu Gesicht bekommen würden), als Frau Sonnleitner mit einer groÃen Kanne Kaffee zur Tür hereinkam. Ich
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