My Story - Streng geheim - Kein Kuss fuer Finn
»Sie trank es in stillen Gedanken an ihn - eine Welt ohne ihn nicht lebenswert schien. Sie starb einsam in selbiger Nacht, ehe ein Bote die Nachricht überbracht.«
Das Gelächter im Klassenzimmer wurde lauter. Ich schielte zu Lukas. Er wirkte zufrieden. In der nächsten Pause würde ich Sophies iPod zurückbekommen! Doch nicht einmal dieser Gedanke konnte verhindern, dass ich am liebsten im Boden versunken wäre, so sehr schämte ich mich für das, was ich getan hatte. Als ich zu Finn sah, sprang der auf den Tisch und breitete die Arme in einer theatralischen Geste aus. »Der Krieger voll Gnade lieà Cormac am Leben«, rezitierte er in bester Schauspielermanier. »Ein zweifelhaftes Geschenk er ihm gegeben. Von diesem Tage an lebte Cormac allein, getrieben vom Wunsch, bei der Geliebten zu sein!«
Alle starrten ihn an, doch Finn schien sich nicht im Geringsten daran zu stören. Nach seinen letzten Worten verneigte er sich und warf grinsend Kusshände ins Publikum, woraufhin er prompt tosenden Beifall erntete.
Lukas wirkte plötzlich gar nicht mehr glücklich. Finn hatte mir einmal mehr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Am liebsten wäre ich davongelaufen oder hätte ihn gewürgt. Oder beides. Dann aber in umgekehrter Reihenfolge.
»Herr Hausmann«, mischte sich Herr Seyfert ein, »wenn du dann mit deinem Beitrag fertig bist, würde ich gerne mit dem Unterricht anfangen. Deinen schöpferischen Erguss könnt ihr im Deutschunterricht diskutieren. Jetzt würde ich aber gern über Geschichte sprechen.«
Mit einer weiteren Verbeugung in Richtung des Lehrers sprang Finn vom Tisch und lieà sich auf seinen Stuhl fallen. Vollkommen cool, kein bisschen peinlich berührt.
In der Pause war Finn Gesprächsthema Nummer eins. Vor dem Schwarzen Brett hatte sich eine Traube gebildet, jeder wollte Finns Gedicht lesen. Ein paar Schüler hatten die Kopien, die ich im Sekretariat zurückgelassen hatte, und hatten zu kämpfen, dass sie ihnen nicht aus den Händen gerissen wurden. Sobald Finn irgendwo auftauchte, wurde er jubelnd und grölend empfangen, was er mit einem Dauergrinsen quittierte. Die meiste Zeit war er von Leuten umringt, von denen ich die meisten nur vom Sehen kannte. Zumindest blieb es mir auf diesem Weg erspart, ihm gegenübertreten zu müssen.
Natürlich lieà Lukasâ Reaktion nicht lange auf sich warten. In einer der Pausen blieb er neben mir stehen und betrachtete die Traube, die sich um Finn gebildet hatte.
»Nah dran«, sagte er, ohne mich anzusehen. »Aber meilenweit von dem entfernt, was ich von dir erwarte. Das nächste Mal musst du dich schon ein bisschen mehr anstrengen.«
Nun sah er mich doch an. »Denk daran, die Uhr tickt. In ein paar Wochen ist Premiere. Du weiÃt, was passiert, wenn du bis dahin kein brauchbares Ergebnis lieferst.« Um es mir trotzdem noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, zischte er: »Elektronikschrott!« Dann machte er kehrt und zog mit seinem Gefolge davon.
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Als ich am Nachmittag in unser kleines Lieblingscafé hinter dem Einkaufszentrum kam, wartete Mehli bereits auf mich. Er saà in der hintersten Ecke, halb von einer künstlichen Palme versteckt, und starrte ungeduldig auf die Tür, als ich hereinkam. Fehlte nur noch, dass er auf die Uhr sah. Es war schon schwer genug gewesen, den Tag zu verdauen. Darauf, mich jetzt auch noch mit ihm auseinandersetzen zu müssen, hatte ich nun gar keine Lust. Ich wusste ja noch nicht einmal, was ich ihm sagen sollte. Allerdings wurde ich das vage Gefühl nicht los, dass ich wohl nur mit der Wahrheit weiterkommen würde. Vielleicht tat es ja die halbe Wahrheit auch. Ein gut dosierter Teil.
»Deine Aktion hat ja für reichlich Wirbel gesorgt«, empfing er mich. »Jetzt bin ich sehr auf deine Erklärung gespannt.«
»Mensch, lass mich doch erst mal Luft holen.« Ich setzte mich und bestellte beim Kellner eine Cola. Eigentlich war ich gar nicht durstig. Entweder war es lediglich eine lieb gewonnene Gewohnheit, oder aber ich versuchte, Zeit zu schinden. Falls es Letzteres war, klappte es nicht, denn Mehli warf mir einen derart durchdringenden Blick zu, dass ich am liebsten unter dem Tisch verschwunden wäre. Dass er mir keine Lampe ins Gesicht hielt und »Rede!« rief, war auch schon alles, das ihn von einem Polizisten unterschied.
»Ich stecke in der Klemme«, gestand ich
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