Myanmar - Stefan Loose Reisefuehrer
den Palikanon auch auf Pali „Tipitaka“ („Drei Körbe”, Sanskrit: „Tripitaka“). In gedruckter Form haben die Texte etwa einen Umfang von 38 Büchern mit jeweils 400 Seiten.
Auch in späteren Jahren, meist im Alter von 20 Jahren oder vor besonderen Lebensabschnitten, tritt ein Birmane nochmals in ein Kloster ein, um eine Zeit lang als Mönch zu leben. Er möchte für sich und seine Familie Verdienste erwerben. Wer aus einer kinderreichen armen Familie kommt, wird von seinen Eltern oftmals ins Kloster geschickt, weil er auf diese Weise eine bessere Schulbildung erhalten kann. Über Jahrhunderte hinweg war das Kloster zugleich auch Schule, in ländlichen Regionen ist dies bis heute der Fall. Ältere Mönche bringen den Kindern das Lesen und Schreiben bei. Auch Mädchen können mit Einwilligung der Eltern und Mönche den Unterricht besuchen. Der Begriff für Kloster,
kyaung
, wird auch synonym für Schule verwendet.
Die landesweit mehr als 170 000 Mönche
(pongyi)
genießen traditionell ein hohes Ansehen und stehen sogar über den obersten politischen Machthabern. Selbst jungen Novizen wird höchster Respekt
(kadaw)
entgegengebracht. Manche Mönche sind als Meditationslehrer bekannt und ziehen zahlreiche Schüler aus dem In- und Ausland an. Nur wenige gelehrte Mönche haben es in ihrer langjährigen Ausbildung so weit gebracht, den gesamten Palikanon (s. Kasten) auswendig zu kennen. Vor allem einfache Leute fühlen sich von
pongyis
angezogen, die angeblich über magische Kräfte verfügen. Ihre Fotos werden als Amulett verwendet und hängen in Häusern und Fahrzeugen, um Schaden abzuwenden. Auch Politiker suchen gerne einflussreiche
Sayadaw
auf, weil sie sich dadurch ein höheres Ansehen beim Volk erhoffen. Kaum ein Tag vergeht, an dem dies nicht in den birmanischen Medien ausführlich erwähnt wird.
Christentum und Islam
Mit den Kolonialherren kamen auch in verstärktem Maße christliche Missionare nach Birma in der Hoffnung, das Land der christlichen Zivilisation zuzuführen. Als Pionier gilt der amerikanische Baptist Adoniram Judson, der 1813 erstmalig birmanischen Boden betrat und 1820 die erste birmanische Baptistin taufte. Allerdings waren die Missionierungsversuche nur beschränkt erfolgreich. Während sich die Buddhisten ihnen hartnäckig widersetzten, zeigten sich einige der ethnischen Minderheiten offen für die neue Religion, vor allem die Chin, Kachin und Kayin. Es war weniger die Lehre, die sie zur Konversion bewegte, sondern die damit verbundene Möglichkeit, eine bessere Gesundheitsversorgung und Erziehung zu genießen. So etablierte sich innerhalb der Volksgruppen eine signifikante christliche Minderheit mit überdurchschnittlichem Bildungsniveau. Sie spielte später in den Befreiungsbewegungen, die sich in den ersten Jahren der Unabhängigkeit formierten, eine Schlüsselrolle. Gute Beispiele dafür sind die Karen National Union (KNU) und die Kachin Independent Organization (KIO), die bis heute von christlichen Anführern dominiert werden.
Die Frau im Buddhismus
Die Frau spielt im heutigen birmanischen Buddhismus eine untergeordnete Rolle, obwohl Buddha auch einen Nonnenorden
(bhikkhuni sangha)
gegründet hat. Im Theri Gata, einem Buch des Palikanons, wird das Leben herausragender älterer Nonnen
(theri)
gepriesen. Dieser Nonnenorden hat in Birma nie existiert. In Sri Lanka, dem einzigen theravada-buddhistischen Land, in welchem es ihn gab, ist er bereits im 11. Jh. verschwunden und erst Ende der 1990er-Jahre wiederbelebt worden. Trotzdem gibt es bereits seit Jahrhunderten Frauen, die den für Ordinierte vorgeschriebenen neun bzw. zehn Sittenregeln
(sikkhapada)folgen.
Sie werden daher Thilashin, „Herr(inn)en (shin) der Regeln (thila)”, genannt. Die Thilashin scheren sich die Haare und kleiden sich in weißrosa Gewänder. Ältere, oft kinderlose Frauen leben auf dem Gelände eines Mönchsklosters von den Almosen der Gläubigen und verrichten einfache Dienste für die Mönche. Eine wachsende Zahl von Frauen lebt in einer der 2700 offiziell anerkannten Klostergemeinschaften. Im Gegensatz zu den Mönchen gehen sie nicht auf den allmorgendlichen Almosengang, sondern sammeln zweimal wöchentlich die Spenden ein. Ansonsten gehen sie buddhistischen Studien nach oder kümmern sich um soziale Belange.
Seit geraumer Zeit ist eine Aufwertung der Thilashin zu beobachten. In Sagaing und Yangon studieren junge Thilashin an den buddhistischen Universitäten, manche erlangten mit dem Titel
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