MYLADY SOMMERBAND Band 03: HERZKLOPFEN IM ROSENGARTEN / LADY ODER KURTISANE? / (German Edition)
entlangschlenderten. Ein Stück vor ihnen lief Rupert, der die Hunde an der Leine führte. Von einer gänzlich ungewohnten Scheu ergriffen, ging Latimer langsamer. Heute würde er weder Kates forschende Blicke noch Ruperts kindliche Bewunderung ertragen. Er wollte nur mit dem Engel reden.
Georgina würde vor ihm bei der Kirche eintreffen. Dabei hatte er doch fest vorgehabt, sie dort zu erwarten. Verflixt!
Er war so in seine Gedanken versunken, dass er die Kutsche, die sich ihm näherte, erst spät bemerkte. Die Pferde liefen schnell, und die Straße war an dieser Stelle eng. Also sprang Ned leichtfüßig über den Graben am Straßenrand und ging ein paar Schritte den mit Gras und Gänseblümchen bedeckten Hang hinauf.
Da raste das Gefährt auch schon an ihm vorbei. Wild schwankte der schäbige Wagen von einer Seite zur anderen. Die Zugpferde hatten bereits Schaum vor dem Maul. Wahrhaftig, der Kutscher musste verrückt sein! Wie konnte er die armen Tiere bei diesen sommerlichen Temperaturen so antreiben? Und warum griff der Fahrgast nicht ein? Oder saß überhaupt niemand in der Kutsche? Die Vorhänge vor den Fenstern waren geschlossen, sodass man nicht hineinsehen konnte.
Ärgerlich schüttelte Latimer den Kopf und wollte auf die Straße zurückkehren. Dabei kam er ins Rutschen, verlor das Gleichgewicht und landete, ehe er sich’s versah, im Graben, der nach dem heftigen Gewitter am Sonntag noch voller Wasser stand und sehr matschig war.
Einen lauten Fluch ausstoßend, richtete er sich auf. O Gott, wie sah er aus! So konnte er Georgina unmöglich gegenübertreten. Keine junge Dame, die auch nur einigermaßen bei Verstand war, würde den Antrag eines so schmutzigen Mannes annehmen. In aller Eile machte Latimer sich auf den Rückweg zum Cottage.
Er riss die Haustür auf und zog sich aus, so schnell er konnte. Trotzdem vergingen einige Minuten, ehe er sich in sauberer Kleidung erneut auf den Weg machen konnte. Noch ehe er wieder auf die Straße hinaustrat, hörte er, wie draußen eine Kutsche vorbeijagte. Den Geräuschen nach zu urteilen, musste es das gleiche schäbige Gefährt sein, das für sein Unglück verantwortlich war. Offenbar hatte der Kutscher an der nächsten Kreuzung gewendet und trieb die Pferde nun zurück ins Dorf.
Noch einmal stieg Latimer die Zornesröte ins Gesicht. Doch als er gleich darauf mit großen Schritten in Richtung Compton Lacey eilte, hatte er sich wieder einigermaßen beruhigt. Jetzt dachte er nur noch daran, wie er Georgina trotz seiner Verspätung dazu würde bringen können, ihm seine Maskerade zu verzeihen. Er durfte seinen Engel auf keinen Fall verpassen! Vielleicht befanden die Schwestern sich ja schon auf dem Rückweg nach Westcotes. Dann musste er eine Gelegenheit finden, auf der Straße oder vielleicht im Garten der Cunninghams allein mit Georgina zu sprechen.
Lange ehe er das Dorf erreichte, war er außer Atem. Und sein Herz klopfte heftig vor Anstrengung und Nervosität. Als er um die letzte Kurve bog und die Kirche bereits sehen konnte, wäre er fast mit Rupert zusammengestoßen. Himmel, was war mit dem Jungen los? Seine Augen waren vor Angst geweitet, seine Wangen kreidebleich.
„Rupert!“
Der Knabe fiel ihm regelrecht in die Arme und begann laut zu schluchzen. „Gina“, stieß er hervor, „sie ist entführt worden! Da war ein Mann … Und eine schwarze Kutsche … Er hat sie mitgenommen. O Sir, was sollen wir nur tun?“
Trotz der sommerlichen Hitze wurde es Latimer plötzlich kalt. Ein Schauer lief ihm den Rücken hinunter, und eine eisige Hand schien nach seinem Herzen zu greifen. Ihm war, als habe sich die Sonne plötzlich verdunkelt. „Was sagst du da, Rupert? Was ist mit Georgina geschehen? Und wo ist Katherine?“
Rupert schluckte, holte tief Luft und erklärte, nun schon etwas ruhiger: „Kate besucht ihren Verlobten. Ich war im Laden, und Gina wollte vor der Kirche auf mich warten. Aber dann habe ich gesehen, wie ein Mann sie zu dieser schwarzen Kutsche geschleppt hat. Den Mann kenne ich nicht. Und Gina ist bestimmt nicht freiwillig mit ihm gegangen. Sie hat ihr Retikül verloren. Und die Hunde …“ Erneut begann der Junge zu schluchzen.
„Hast du gesehen, in welche Richtung die Kutsche gefahren ist?“ Latimer schaute sich um. Das Gefährt war verschwunden, der Kirchplatz lag verlassen, weit und breit war kein Mensch zu sehen. Nur vor dem Gasthof standen zwei offenbar schon recht alte Pferde. Und bei der Bank vor der Kirche lagen die Hunde, die
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