MyLady Weihnachtsband 2009 Band 18
Gelehrter sein, um zu erkennen, dass die junge Frau an den Qualen der Liebe litt.
Genau wie ein gewisser junger Mann.
Trey kam sich vor wie jemand, der zwischen allen Stühlen saß. Auf der einen Seite mühten sich seine Frau und ihre Schwester darum, andere glücklich zu machen, während sie dabei ihre eigenen Wünsche vernachlässigten. Julia unterwarf sich Annas Ehestifterei, weil sie glaubte, sie schulde ihr etwas für all die Jahre, in denen Anna ihr eigenes Glück hintangestellt hatte, um für ihre Schwester und Tante Euphemia zu sorgen. Und Anna, die jahrelang mit Not und Armut zu tun gehabt hatte, wollte einfach sichergehen, dass Julia nie in diese verzweifelte Lage kommen würde, und versuchte daher, eine Ehe zu arrangieren, in der ihre Schwester finanziell versorgt wäre.
Zweifellos handelte sie aus den edelsten Gefühlen heraus, und es entsprach auch der gängigen Praxis, und doch konnte nichts als Unglück daraus resultieren, aber sie war leider zu störrisch, um das zu erkennen. Es sei denn, jemand, der beiden zugetan war, konnte sie zur Einsicht bringen.
Jemand wie er.
Seine Versuche, Julia in die Familie aufzunehmen, waren durchaus erfolgreich, aber obwohl er sie fast als seine Tochter betrachtete, gab es gelegentlich Zeiten, in denen sie sich distanzierte. Zuerst hatte es den Anschein, als genösse sie die Veränderungen, welche seine Ehe mit Anna mit sich brachte. Auch über die Aufnahme seiner unehelichen Tochter hatte sie sich gefreut, denn dadurch hatte sie eine Spielkameradin und eine neue Schwester gewonnen, die ihr die ersetzte, die er ihr durch die Heirat genommen hatte. Doch dann waren sie auf Reisen gegangen, und sie hatte mehr Menschen aus seinen Kreisen kennengelernt, und sie hatte unzufrieden gewirkt.
Anna hatte dies als Herausforderung gesehen, sie glücklich unter die Haube zu bringen, und sobald Julia achtzehn geworden war, hatte Anna sich auf die selbst gewählte Mission begeben, ihrer Schwester einen Ehemann zu suchen. Wenn nicht eine oder beide von diesem Vorhaben abkamen, sah er gebrochene Herzen und Schlimmeres auf sie zukommen.
Trey ging leise zu dem Winkel in der Bibliothek und linste in der Dämmerung auf das schlafende Mädchen. Selbst im schwachen Licht der Kerze, die er in einem silbernen Leuchter hielt, war offenkundig, dass sie geweint hatte. Ihr Gesicht war blass, blasser als an dem Tag, da sie zum ersten Mal aufgestanden war.
Er stellte den Leuchter auf dem Tisch ab, ging vor ihr in die Hocke und flüsterte ihren Namen. Nach einmaligem Wiederholen schlug sie die Augen auf und erkannte ihn.
„Komm, Julia. Ich bringe dich in dein Zimmer“, bot er an, während er sich erhob. „Anna macht sich Sorgen um dich, so kurz nach dem Unglück. Ich habe ihr gesagt, dass du so stark und so kräftig bist wie ein Arbeitspferd, aber sie bezweifelt das.“
Das entlockte ihr ein Lächeln, flüchtig allerdings nur, und ihre Miene wirkte auf einmal sogar ein wenig heiter. „Ein Arbeitspferd?“, fragte sie. „Hätte dir da nicht etwas Eleganteres einfallen können?“ Sie bemühte sich um einen leichtherzigen Ton, doch gelang es ihr nicht, den Kummer aus ihrer Stimme herauszuhalten. „Ich wollte sie nicht beunruhigen, wirklich nicht, Trey.“ Sie erhob sich, und als sie direkt vor ihm stand, erkannte er den frischen Schmerz in ihrem Blick.
„Julia, was ist geschehen?“
Da liefen ihr schon die Tränen über die Wangen, und sie begann zu zittern. Trey breitete die Arme aus und zog sie an sich, redete ihr dabei beruhigend zu, wie er es bei seinen kleinen Söhnen tat. „Julia, mein Mädchen, sag mir doch, was passiert ist.“
„Er will mich nicht, Trey. Er will mich nicht.“
Jetzt schluchzte sie, lehnte sich an seine Brust und benetzte seinen Morgenrock mit ihren Tränen. Er ließ sie ausweinen, und als sie den Kopf hob und sich von ihm löste, wusste er, dass sie nun bereit war, mit ihm darüber zu reden.
„Glaubst du das wirklich?“, fragte er.
„Er ist so stolz, und gleichzeitig so schwachköpfig.“
„Behauptest du das in letzter Zeit nicht von allen Männern?“ Trey zuckte mit den Schultern. „Inwiefern unterscheidet er sich denn von uns anderen?“
„Oh, Trey! Von dir denke ich das doch überhaupt nicht. Du hast mir immer nur beste Absichten und Aufmerksamkeit gezeigt. Und obwohl auch du manchmal den Schwächen und Merkwürdigkeiten deines Geschlechts erliegst, halte ich dich dennoch für einen der vernünftigsten Männer, die mir je begegnet
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