MyLady Weihnachtsband 2009 Band 18
keiner auch nur den geringsten Hinweis darauf gegeben, dass er Meredyth Wellingford für eine unmoralische Frau hielt. Ohne das Erlebnis im Witwensitz hätte er es ja selbst nicht geglaubt.
Ihr ganzes rätselhaftes Benehmen spitzte sich auf diesen einen Punkt zu: Wenn sie keine Kokotte war, warum hatte sie ihm dann vorgaukeln wollen, sie sei eine?
Warum sie ihn verführen sollte, wenn dies gar nicht ihren Gepflogenheiten entsprach, war ein Rätsel, das für seinen schlichten männlichen Verstand zu kompliziert war. Ihren wahren Charakter herauszufinden wäre da schon einfacher. Sofern Meredyth es an Moral vermissen ließe, würde irgendwer rund um Wellingford das doch sicher wissen!
Wenn er sich diese Tatsache bestätigen lassen könnte, würde es ihn vielleicht beruhigen und es ihm ermöglichen, sie zu vergessen.
Und wenn sie sich nicht bestätigen ließ … Er gehörte nicht zu den Männern, die eine Frau verführten – beziehungsweise sich von ihr verführen ließen, korrigierte er sich – und sich dann einfach verabschiedeten, wenn sie dazu nicht mehr Grund hatten, als sie ihm im Witwensitz gegeben hatte. Er würde Miss Wellingford noch einmal von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten müssen und von ihr verlangen, dass sie sich ihm erklärte.
Der Gedanke erfüllte ihn mit mehr Energie und Begeisterung, als er an jenem schicksalhaften Nachmittag verspürt hatte, an dem er mit ihr zum Witwensitz geritten war. Er ging ins Haus. Er war sich nicht sicher, wie er es anstellen sollte, aber er würde die Wahrheit über Meredyth Wellingford herausbekommen.
Eine Gelegenheit, die Sache zu untersuchen, ergab sich früher als erhofft. Beim Dinner an diesem Abend erwähnte sein Vater, dass in der Nähe von Wellingford ein Besitz zum Verkauf stehe, für den er sich interessiere. Sofort bot Allen an, ihn sich anzusehen. Waring Manor lag einen Tagesritt von Wellingford entfernt. Er wusste zwar noch nicht genau, was er tun wollte, aber er dachte sich, sobald er den Auftrag seines Vaters erledigt hätte, könnte er im Gasthof in Swansden übernachten, dem kleinen Dorf, das Wellingford am nächsten lag.
Eine Woche später hatte er das Anwesen inspiziert und betrat den Gasthof in Swansden. Der Wirt eilte aus dem verlassenen Schankraum herbei, um ihn zu bedienen. Nachdem er ein Zimmer für die Nacht bestellt und seinen Namen genannt hatte, fragte der Mann, ob er wohl mit Mr. Thomas Mansfell verwandt sei, der den jungen Herrn von Wellingford öfter besuche.
Erfreut, dass der Wirt des einzigen Gasthofs in einem Umkreis von zwanzig Meilen die Familie wie erhofft kannte, bestätigte Allen, dass dem in der Tat so war. Wenn Meredyth Wellingford Liebhaber hätte, hatte sie sich entweder hier im Gasthof mit ihnen getroffen oder sie waren zumindest dort abgestiegen. Er ließ sich ein Glas vom Hausbräu geben und setzte sich in den Schankraum, um zu sehen, was er herausfinden konnte.
Die nächste halbe Stunde war äußerst aufschlussreich. Mr. Sweeney, der Wirt, hatte über Meredyth Wellingford nur Gutes zu berichten: Ihr Fleiß, ihre Fürsorge hätten das Landgut, das ihr Vater so vernachlässigt hatte, wieder flottgemacht, und davon profitiere nun die gesamte Gegend.
„Aye, was für eine feine Herrin sie ist! Hat meine Betsy in ihre Dienste genommen und weiß genauso gut wie der Pfarrer, wem es hier an etwas fehlt und wer Hilfe braucht. Ich bin allerdings überrascht, dass Sie hier absteigen, wo Sie doch mit der Familie bekannt sind. Wir haben hier keinen Besucher mehr von dort aufnehmen müssen, seit die Arbeiten am Haus vor einigen Jahren abgeschlossen worden sind. Obwohl sie uns schon Kundschaft hat zukommen lassen: Oft hat sie ihre Gäste nach der Jagd auf ein Glas Hausbräu zu uns geschickt.“
„Ihre Verehrer haben nicht hier übernachtet?“, drängte er.
Der Gastwirt lachte. „Gelegentlich hat ihr ihr Nachbar einen Besuch abgestattet. Der andere Herr hat bei ihnen im Haus gewohnt, ist jedoch nicht lange geblieben. Die Leute hier glauben, dass Miss Wellingford nie über den Verlust ihres jungen Soldaten hinweggekommen ist, dem sie versprochen war. Schade, denn sie würde mal eine prächtige Ehefrau abgeben.“
In diesem Moment kamen andere Gäste herein, und der redselige Wirt entschuldigte sich, um sie zu bedienen.
Allen trank sein Bier und ließ sich durch den Kopf gehen, was er eben erfahren hatte. Anscheinend hatte der Gastwirt eine ebenso hohe Meinung von Meredyth Wellingfords Charakter wie
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