MyLady Weihnachtsband 2009 Band 18
damals nicht.
Erst sehr viel später.
Nell verzog das Gesicht und wappnete sich, ihn wieder zu berühren. Dann hockte sie sich hinter ihm auf den Boden, zog ihre Röcke hoch und streckte die Beine unziemlich links und rechts von seinem Körper aus.
Sie wurde rot. Oh, bitte, lass ihn nicht ausgerechnet jetzt aufwachen! Sie würde im Erdboden versinken und vor Scham tot umfallen, wenn er je erfahren würde, dass sie die Beine um seine Hüfte geschlungen und seinen Kopf an ihre Schulter gezogen hatte. Doch sie wusste nicht, wie sie es anders bewerkstelligen sollte, ihn ins Haus zu schaffen. Indem sie ihm die Arme um die Brust schlang und rückwärts rutschte, gelang es ihr, ihn über die Stufe der Hintertür zu hieven und in die warme Küche zu schaffen.
Matt sackte sie gegen ein Bein des Küchentisches und wartete, bis ihr Atem sich beruhigt hatte, seinen Kopf immer noch im Schoß.
Weich und flaumig war sein Haar unter ihren Fingern. Es war wohl erst vor kurzem geschoren worden. Das hat ihm sicher nicht gefallen, dachte sie und erinnerte sich an die sorgfältig frisierten, seidig dunklen Locken des jungen Stutzers von einst. Es schien ihr, als würden ihre Hände aus eigenem Entschluss ein letztes Mal über seinen Kopf streichen, bevor sie sich unter seinem Körper herauswand. Dann ließ sie seinen Kopf behutsam auf die Steinfliesen sinken und kniete sich neben ihn.
Und jetzt? Sie hatte ihn aus dem Schnee hereingeholt, doch hier auf dem Küchenfußboden konnte er nicht liegen bleiben. Obwohl der Herd den Raum warm hielt, würde sein Körper auf den Steinfliesen, auf denen er lag, sicher bald auskühlen.
Wenn er doch nur aufwachen, aufstehen und weggehen würde!
In einem kurzen Anfall von Verärgerung streckte sie die Hand aus, um ihn an der Schulter zu rütteln, zog sie jedoch rasch wieder zurück. Fast musste sie über sich lachen. Wenn er nicht wach geworden war, als sie ihn über den Gartenweg und die Stufe hinauf ins Haus geschleift hatte, würde er wohl kaum auf ein Rütteln reagieren.
Wenn sie doch wenigstens Alkohol im Haus hätte! Sie hätte ihm ein wenig in den Mund träufeln können, das hätte ihn vielleicht wiederbelebt. Verdrossen kaute sie an ihren abgebissenen Fingernägeln herum. Nicht einmal einen Tee konnte sie ihm anbieten. Sie hoffte, dass der Pfarrer ihr zu Weihnachten ein Viertelpfund schenkte, doch bis dahin war Carleton sicher längst wieder weg.
Sie hatte alles für ihn getan, was sie konnte. Wenigstens hatte sie ihn aus der Kälte ins Haus geholt – und das war mehr, als er im umgekehrten Fall für sie getan hätte.
Mit diesem ernüchternden Gedanken stand sie auf, schloss die Hintertür und lehnte sich, den Blick auf Carleton gerichtet, dagegen.
Sie war so naiv gewesen, sich tatsächlich etwas von dem attraktiven Teufel zu erwarten, den sie geheiratet hatte. Sie hätte wissen müssen, dass ein wahrer Gentleman sich während einer Hausgesellschaft, zu der auch mehrere junge Damen von vornehmer Geburt geladen waren, nicht volltrunken aufs Sofa legen und einschlafen würde. Und ein anständiger Mann würde beim Aufwachen seinen Zorn auch nicht auf solch unbeherrschte Art an einer jungen Frau auslassen, die, wie er eben herausgefunden hatte, nicht nur kein Dienstmädchen, sondern obendrein auch noch kaum dem Schulzimmer entronnen war.
Draußen kamen Schritte den Gartenweg herauf und rissen sie aus ihrer Träumerei.
Mit der verzweifelten Miene eines Übeltäters auf der Suche nach einer Zuflucht platzte Harry in die Küche und wäre über Carleton gestolpert, wenn Nell ihn nicht rasch am Arm gepackt hätte.
Die Ankunft ihres Sohnes war im Augenblick nur eine weitere Belastung für sie. Durch die Schmutzkruste in seinem Gesicht konnte sie auf einer Wange eine Verfärbung erkennen, die ein hübsches Veilchen ankündigte. Die Schneeflocken, die sein seidiges schwarzes Haar sprenkelten, legten beredt Zeugnis davon ab, dass er irgendwo seine Mütze verloren hatte. Kurz gesagt, er war augenscheinlich in eine Rauferei verwickelt gewesen.
Wieder einmal.
Trotz all ihrer Bemühungen war nicht zu leugnen, dass er allmählich zu einem rechten Raufbold heranwuchs. Sie wusste, dass sie zu nachgiebig war, doch sie brachte es nicht über sich, ihn zu schlagen, auch wenn Squire Jeffers darauf beharrte, solch strenge Züchtigung sei der einzige Weg, ihn davor zu bewahren, ein Galgenvogel zu werden.
Und obwohl sie wusste, dass sie ihn wenigstens schelten sollte, weil er in einem so unrühmlichen
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