MyLady Weihnachtsband 2009 Band 18
noch platt auf dem Gesicht gelandet, aber er nicht. O nein! Selbst im Niedersinken hatte er noch eine gute Figur gemacht, indem er den nächsten Strauch gewählt hatte, um seinen Sturz abzufangen.
Als ihr die überwältigende und widerwärtige Wahrheit endlich bewusst wurde, musste sie erst einmal ihre Grabgabel in den Boden rammen und sich darauf stützen.
Carleton war gar nicht tot.
Irgendwie hatte er wider alle Erwartungen überlebt und war zurückgekehrt zu … nein. Sie schüttelte den Kopf und kniff vor Schmerz die Augen zusammen. Zu ihr war er gewiss nicht zurückgekehrt. Er hatte gesagt, er sei auf der Suche nach Mrs.
Green. Er war nicht davon ausgegangen, hier auf seine Frau zu treffen. Und wie es schien, hatte er sie auch nicht wiedererkannt. Warum sollte er auch? Wo ihre kurze, katastrophale Beziehung doch so einseitig gewesen war? Immer war sie es gewesen, die ihn angehimmelt hatte, nie umgekehrt. Sie war es gewesen, die über die Balustrade auf der Empore gelugt hatte, um ihn zu beobachten, wenn er eine ihrer Cousinen zum Dinner geführt hatte. Wenn sie sich dann doch einmal von Angesicht zu Angesicht begegnet waren, etwa bei der unseligen Hausgesellschaft ihrer Tante, hatte er entweder durch sie hindurchgeblickt oder auf sie herabgeschaut, da er sie für ein Dienstmädchen gehalten hatte, nicht für eine Familienangehörige seiner Gastgeberin.
Selbst an dem Abend, der den Lauf ihrer beider Leben so unwiederbringlich verändert hatte, war er sich ihrer Gegenwart nicht bewusst gewesen. Sie hatte, die Knie ans Kinn gezogen, auf dem Fenstersitz gesessen und darüber gestaunt, dass der Schlaf ihm jede Spur von Überheblichkeit aus dem Gesicht gewischt hatte. Im Schlaf hatte er fast verletzlich ausgesehen.
Genau wie jetzt.
Unwillkürlich trat sie ein wenig näher heran. Die Jahre hatten den Mann verändert, der sie so grausam behandelt hatte. Doch obwohl sich um seine Augen herum Falten gebildet hatten und seine Wangen hohl waren, breitete sich seine hoch gewachsene Gestalt mit genauso viel Eleganz über das zerbrochene Geäst wie damals vor vielen Jahren über die seidenen Sofakissen ihrer Tante. Und obwohl sie nie gedacht hätte, ihr eleganter Ehemann würde jemals einen so durch und durch schäbigen Mantel anziehen, hatte sie keinen Zweifel mehr daran, dass er es war.
„Oh, Carleton“, stöhnte Nell und schlang die Arme um ihren Oberkörper. „Was soll ich bloß mit dir machen?“
Der Himmel antwortete ihr. Die Wolken, die den ganzen Tag schwer über dem Dorf gehangen hatten, machten sich jetzt endlich daran, ihre Last abzuwerfen. Als die ersten zarten Schneeflocken Carletons Wange trafen, wusste Nell, dass sie keine Wahl hatte.
Wie verzweifelt musste er sein, dass er hierhergekommen war, um Hilfe zu finden. Er war sicher sehr schwach, wahrscheinlich krank, sonst wäre er nicht umgekippt. Sie konnte ihn unmöglich hier draußen in der Kälte liegen lassen.
Seufzend ging sie in das Cottage und holte eine Decke von ihrem Bett. Sie legte sie auf den Boden neben den Bewusstlosen und rollte ihn darauf. Dann packte sie die Decke an zwei Ecken und zog ihn mühsam und Stück für Stück über den holprigen Pfad.
Obwohl er so mager wirkte, war er nicht gerade leicht. Als sie die Hintertür erreicht hatte, keuchte sie vor Anstrengung. Dabei musste sie ihn noch über die Schwelle hieven, um ihn ins Haus zu bringen. Mit der Methode, wie sie ihn den Pfad heraufgeschleift hatte, würde ihr das wohl nicht gelingen. Womöglich schlug sie ihm den Kopf an, wenn sie ihn über die Stufe zog, und er wurde bewusstlos … falls es möglich war, einen Mann bewusstlos zu machen, der schon ohnmächtig war …
Nein. Sie schüttelte den Kopf. Zwar bezweifelte sie, dass sie ihm wirklich schaden konnte, doch sie wollte nicht das Risiko eingehen, dass er sich den Schädel anschlug und Kopfschmerzen bekam. Mit Kopfschmerzen wollte sie Carleton niemals wieder erleben.
Bei dem Gedanken an den Morgen nach ihrer Hochzeit verbarg sie das Gesicht in den Händen. Ihr attraktiver Bräutigam war, brüskiert und von den Nachwirkungen des Brandys ganz kalkweiß im Gesicht, wütend auf sie losgegangen und hatte ihr ihre letzte schwache Hoffnung geraubt. Sie hatte damals kaum glauben können, dass Lippen, die so schön waren und deren Küsse eine so ekstatische Wirkung hatten, so schneidende Worte bilden konnten.
Im Grunde hatte sie ihn gar nicht gekannt. Seufzend ließ sie die Hände sinken und blickte ihn unverwandt an. Nein,
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