MyLady Weihnachtsband 2009 Band 18
Zustand nach Hause kam, hatte sie im Augenblick einfach nicht die Kraft dazu. Sicher würde bald jemand vor ihrer Tür stehen und ihr haarklein erzählen, was er ausgefressen hatte, und Entschädigung verlangen.
„Hoppla!“, sagte er jetzt, und seine schuldbewusste Miene verwandelte sich in eine ehrfürchtige, als er sich aus ihrem Griff wand und neugierig auf den reglosen Carleton zuging. „Ganz schön groß, der Kerl, was?“
Sie verstand nicht recht, warum er dann herumwirbelte, um durch ihr kleines Küchenfenster zur Kirche hinüberzuschauen, deren Turmspitze über den Eibenbäumen am Friedhof gerade noch zu sehen war.
„Und, isser?“
„Ist er was?“ Sie runzelte die Stirn. Sie kam nicht mehr mit bei all den seltsamen Ausdrucksweisen, die er von den Dorfjungen aufschnappte. „Ich weiß nicht, was du damit meinst, aber groß ist er auf jeden Fall.“ Von der Plackerei, ihn ins Haus zu schaffen, tat ihr alles weh. Sie beäugte die kleine, aber kräftige Statur ihres Sohnes. „Könntest du mir wohl helfen, es ihm ein bisschen bequemer zu machen?“
„Klar, Mama“, sagte er stolz. „Wir müssen uns um ihn kümmern, nicht wahr?“
„Ja.“ Sie blinzelte, ein wenig erstaunt über seine Begeisterung. „Gewöhnlich holt man ja keine Bettler ins Haus. Aber er ist in unserem Garten ohnmächtig geworden, und ich konnte ihn wohl kaum da draußen in der Kälte liegen lassen …“
„Auf keinen Fall.“ Er strahlte. „Nicht an Weihnachten.“
Hochwürden Byatt hat sicher in der Sonntagsschule über Nächstenliebe gesprochen, dachte Nell. Sie war ein wenig überrascht, dass die Lektion einen solchen Eindruck auf Harry gemacht hatte, doch sie freute sich auch darüber.
„Genau.“ Sie lächelte, stolz darauf, dass er – endlich – erkennen ließ, dass er als Erwachsener nicht so egozentrisch werden würde wie sein Vater. „Zusammen“, erklärte sie entschlossen, „bekommen wir ihn bestimmt aufs Sofa im Wohnzimmer. Und dann möchte ich, dass du mit einem Brief hinüber zu Squire Jeffers läufst, damit jemand kommt und ihn abholt.“
„Ihn abholt?“ Harry machte ein langes Gesicht.
„Ja“, versetzte sie resolut. Auch wenn sie ihn nicht in der Kälte hatte sterben lassen können, wollte sie auch nicht, dass er länger in ihrem Haus blieb als unbedingt notwendig. „Dieser Mann sieht vielleicht aus wie ein Bettler, aber er entstammt einer wohlhabenden Familie. Er gehört nicht hierher, zu Leuten wie uns.“
Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte Harry ihr widersprechen. Das tat er in letzter Zeit immer häufiger, gab Widerworte, stellte unangenehme Fragen und war mit ihren Antworten nie zufrieden. Sie war also erleichtert, als er, wenn auch mit störrischer Miene, ihrer Anweisung gehorchte, Carleton an den Füßen zu packen und ihr zu helfen, den wie leblosen Mann durch die Küche ins Wohnzimmer zu schaffen, wo es ihnen mit ein wenig Einfallsreichtum und großen Anstrengungen gelang, ihn auf das Sofa zu betten.
„Lauf und hol ihm ein Kissen für den Kopf und noch eine Decke“, sagte sie, als ihr beklommen klar wurde, dass sie ihren kostbaren Holzvorrat angreifen musste, um ihm ein Feuer zu schüren.
Während Harry die Treppe zum Schlafzimmer hinauftrampelte, beugte Nell sich über Carleton, um ihm den Mantel aufzuknöpfen, der ihm hochgerutscht war. Als ihr Handrücken an seinem Hals vorbeistrich, zuckte sie ob der großen Hitze zusammen. Sein Gesicht, das sie aus Angst, ihre Gefühle zu verraten, nicht angesehen hatte, seit Harry nach Hause gekommen war, war schweißgebadet.
Kein Wunder, dass er in ihrem Garten zusammengebrochen war. Er hatte hohes Fieber.
Für einige Minuten vergaß sie, wer und was der Mann war, und machte sich daran, ihm die Kleider auszuziehen. Jahrelange Erfahrung in der Pflege ihres Sohnes bei verschiedenen Krankheiten hatte sie gelehrt, dass kalte Waschungen mit einem Schwamm genauso wirkungsvoll waren wie alles, was ein Arzt anzubieten hatte, falls sie es sich je hätte leisten können, nach einem zu schicken.
Es war nicht schwer, ihm die Kleider abzustreifen. Sie rutschten so leicht von ihm ab, als wären sie für einen viel kräftigeren Mann gemacht worden.
Doch als sie ihn auf die Seite rollte, um ihm sein schweißnasses Hemd auszuziehen, taumelte sie keuchend zurück. Carletons Rücken war voll narbiger Striemen. Anscheinend war er vor langer Zeit ausgepeitscht worden.
Ihre Hände zitterten, als sie sich wieder der Aufgabe zuwandte, ihn
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