MyLady Weihnachtsband 2009 Band 18
seine verschwommene Erinnerung an die Zeit, die er bislang hier verbracht hatte, nicht trog, war der Knabe ihr einziger Mitbewohner.
Der Bursche scheint jedenfalls zu dem Schluss gekommen, dass er der Aufgabe gewachsen ist, dachte Carleton, als der Knabe grinsend an seine Seite sprang.
Er erwiderte das ansteckende Lächeln und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Nicht da lang“, sagte der Bengel, als Carleton sich unwillkürlich in Richtung des Flurs wandte, der in den rückwärtigen Teil des Hauses führte. „Wir gehen lieber nicht durch die Küche – nicht, wo gerade der Viscount da ist. Wenn der zu Besuch ist, geht man ihm am besten aus dem Weg, aber heute ist er noch üblerer Stimmung als sonst.“
„Dann gehen wir doch durch die Haustür und seitlich ums Cottage herum“, schlug Carleton vor, obwohl er sich nicht sicher war, wie weit er kommen würde, bevor seine Beine nachgaben. Egal. Er zuckte mit den Schultern. Nötigenfalls konnte er auch zurückkriechen. Wenigstens ein, zwei Minuten lang wollte er frische Luft einatmen, frische englische Winterluft, die ihm Hirn und Lunge durchpusten würde.
Erst nachdem er sich erleichtert hatte und seine Breeches hochgezogen hatte, ging ihm auf, warum er sich, als er diesmal auf dem Sofa wach geworden war, so anders gefühlt hatte. Er schwitzte nicht mehr. Er zitterte noch, ja, aber jetzt eher wegen der Kälte als wegen seines schwachen Zustands.
Schon vor seinem letzten Fieberanfall war er nicht besonders gut in Form gewesen. Man hatte ihn gedrängt, mit der Heimreise noch etwas abzuwarten, doch er hatte nur daran denken können, dass er rechtzeitig zu Weihnachten nach Lambourne Hall gelangen wollte. Bilder von knisterndem Kaminfeuer, weichen Betten und Tischen, die sich unter den köstlichsten Speisen bogen, hatten ihn beharrlich weitermarschieren lassen. All die Dinge, die er während seiner privilegierten Jugend als selbstverständlich angesehen hatte, hatten etwas von den Verlockungen eines Paradiesgartens bekommen, aus dem er vertrieben worden war.
Er blinzelte und ließ den Blick durch den ordentlichen Nutzgarten schweifen, in dem er stand, und richtete ihn dann auf den Jungen. Und runzelte die Stirn.
Wenn sein Kopf klar war und er nicht mehr unter Halluzinationen litt, dann war das ein echter Junge und kein Fiebertraum. Er hatte nicht gewusst, dass Mrs. Green Kinder hatte, doch wenn die Frau, die das Gemüse ausgegraben hatte, ihre Tochter und dieser Junge ihr Enkel waren, würde das erklären, warum die beiden ihm vage vertraut vorgekommen waren.
Nun, er würde es bald herausfinden.
„Wie heißt du, Junge?“
„Harry Tillotson, Sir“, sagte der Bursche, und schon steckte er wieder mitten in seinem schlimmsten Albtraum.
Der Knabe konnte nur ein Dämon sein, dass er jetzt ausgerechnet diesen Namen nannte. Lieber Gott, lag er am Ende doch noch in Frankreich in irgendeiner verlausten Hütte? Würde er in wenigen Augenblicken aufwachen und feststellen, dass er immer noch darauf wartete, dass die britischen Truppen diesen Weiler erreichten? Musste er die Kräfte zehrende Reise noch einmal auf sich nehmen?
Nein, das war unmöglich! Es kam ihm doch alles so wirklich vor!
Abgesehen davon, wenn er sich nur einbildete, wieder in England zu sein, warum sah er sich dann hier, im Haus von Mrs. Green, wo seine Fantasie doch stets von Bildern von Lambourne Hall beflügelt worden war?
Obwohl dieses Cottage natürlich der reinste Palast ist im Vergleich zu dem, was ich sonst so gewohnt bin, sinnierte er, während er auf den hübschen schmalen Weg zurückblickte. Mrs. Greens Häuschen mochte klein und abgelegen sein, doch es hatte dicke Wände und ein stabiles wetterfestes Strohdach. Sie besaß sogar einen Flecken Land, groß genug, um ihre Küche mit einer Vielzahl von Gartenfrüchten zu versorgen, und – vor allem – die Freiheit, zu kommen und zu gehen, wie es ihr beliebte.
Er hatte den Jungen sicher falsch verstanden.
„Tillotson?“ Er richtete einen scharfen Blick auf seinen kleinen Peiniger. „Bist du dir da ganz sicher?“
„Klar bin ich mir da sicher“, entgegnete der Junge verächtlich. „Ich kann den Namen sogar schreiben, wenn Sie möchten.
Ich kenne alle Buchstaben“, prahlte er, „und ich kann rechnen. Mama sagt, nächstes Frühjahr will sie Hochwürden Byatt bitten, mir Lateinunterricht zu geben, wenn sie genug Eier verkaufen kann, um ihn zu bezahlen, und wenn nicht, will sie für andere die Wäsche waschen.“
Carleton beugte
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