Myriams letzte Chance
vor Ãberraschung, sondern vor Enttäuschung. Denn April hatte sich gar nicht verkleidet. Sie trug nur weite Breeches und eine viel zu groÃe Sweatjacke, deren Kapuze sie so tief in die Stirn gezogen hatte, dass man ihr Gesicht nicht sah. In der Rechten hielt sie das Halfter, mit der Linken balancierte sie einen Gettoblaster auf der Schulter, aus dem laute Technomusik dröhnte. Sie ging mit wippenden Schritten zur Mitte des Roundpens, stellte den Gettoblaster ab, dann schwang sie sich in den Sattel und galoppierte los.
Das Tempo, das sie vorlegte, war atemberaubend. Aus dem Galopp heraus lieà sie Charlie mehrere Spins auf der Vorder- und Hinterhand vollführen, dann ein Sidepass quer über den Reitplatz. Danach beschleunigte sie sogar noch.
âApril muss verrückt seinâ, flüsterte Ayla. âDas Tempo ist der helle Wahnsinn.â
âAber dieses Kostümâ, mäkelte Tori. âIch hatte erwartet, dass sie sich was Originelleres einfallen lässt.â
âWoooooah!!â, schrie April so laut, dass alle zusammenzuckten. Charlie rutschte auf den Hinterläufen über den halben Platz und kam genau vor dem Gettoblaster zum Stehen.
Die Zuschauer brachen in begeisterten Beifall aus, aber April hob die Hand. Während die Technorhythmen in einen schnellen Rock ânâ Roll übergingen, galoppierte sie wieder los. Dabei riss sie plötzlich an ihren Breeches und warf zuerst das eine, dann das andere Hosenbein über ihre Schulter nach hinten. Nun zog sie den ReiÃverschluss der Jacke auf und lieà auch diese zu Boden fallen.
âWow!â, schrie Tori.
Toben im Publikum, wilde Begeisterung bei den Pferdemädchen.
Denn April trug jetzt ein knallrotes Kleid mit Spaghettiträgern und weitem Petticoat. Der zweite Teil des Patterns war leidenschaftlicher und gefühlvoller als der erste. Ein weite Acht, danach eine engere, dann noch einmal eine Runde im Galopp. Ein getänzelter Sidepass. Auch der Rollback, mit dem sie ihre Vorführung abschloss, wirkte wie ein Tanz.
Während der Beifall aufbrauste, sprang April aus dem Sattel. Sie ergriff Charlies Zaumzeug, dann verbeugten sie sich gemeinsam.
Der Jubel kannte keine Grenzen. Die Pferdemädchen johlten, die Jungen grölten, Sue platzte fast vor Stolz über ihre Nichte. Alle Zuschauer sprangen von ihren Sitzen auf. Sina und Viktor schossen mit ihren Spielzeugpistolen in die Luft, aber das hörte keiner. Der Applaus war einfach zu laut.
âWer ist denn jetzt an der Reihe?â, fragte Tori, nachdem sich April und Charlie noch drei weitere Male verbeugt hatten.
âAch du Schreck!â Myriam fuhr zusammen. âDas bin ja ich! Ich hab mich noch nicht mal umgezogen.â
âIst nicht schlimm. Keine Panik.â Sue hatte sie gehört. Sie sprang über die Abtrennung, die den Roundpen umgab, und ging zur Mitte des Platzes.
âIch denke, nach allen diesen tollen Vorführungen brauchen wir erst mal eine Pause!â, rief sie laut. âAlso mir zittern die Knie vor Begeisterung und Ihnen geht es wahrscheinlich nicht anders. Wir verkaufen im Hof Würstchen und Getränke. Wenn Sie sich stärken wollen, sind Sie herzlich eingeladen. In einer Stunde machen wir dann weiter.â
Die Party
Myriam kämmte ihre langen Haare straff nach hinten, band sie zu einem Zopf und steckte dann als Schmuck eine groÃe rote Seidenrose über ihr rechtes Ohr.
Es war ganz schön undankbar, nach Aprils Wahnsinnsauftritt starten zu müssen.
Aber egal. Es war schlieÃlich kein Turnier, sie ritten ja nur zum Vergnügen. Wenn die dusselige Flamenco-Verkleidung nicht gewesen wäre, hätte Myriam alles noch mehr Spaà gemacht.
Sie schminkte ihre Augen mit dunklem Lidschatten, malte einen schwarzen Strich unter und über jedes Lid, dann tuschte sie ihre Wimpern schwarz, trug etwas Rouge und leuchtend roten Lippenstift auf. Zum Schluss rieb sie die Lippen aufeinander, um die Farbe zu verteilen.
Ach du Schreck, das Gesicht, das sie aus dem Spiegel heraus anstarrte, sah total fremd aus.
âKeiner wird mich erkennenâ, murmelte Myriam. Es war, als ob sie eine Maske trug. Eigentlich hätte sie das beruhigen können, aber das tat es nicht.
Sie schlüpfte in den Rüschenrock und in die Cowboystiefel. Wo war denn jetzt dieser bescheuerte Fächer? Sie durchwühlte ihre Tasche und den Kleiderhaufen, der über dem Badewannenrand lag. SchlieÃlich fand
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