Myron Bolitar 03 - Der Insider
Zwei machten auf dem Fußboden Dehnübungen für die Waden- und Oberschenkelmuskulatur, wobei ihnen jeweils ein Assistenztrainer ein Bein in die Luft hielt. Ein paar andere dribbelten mit Basketbällen. Vier andere hoppelten zu ihren Schränken zurück, nachdem sie vorsorglich einen Tapeverband bekommen hatten. Fast alle kauten Kaugummi. Fast alle hörten Musik aus ihren Walkmans. Aus den Stöpseln in ihren Ohren plärrte es so laut, dass man den Eindruck hatte, sie wären miteinander konkurrierende Ausstellungsstücke in einem HiFi-Geschäft.
Myron hatte kein Problem, seinen Platz zu finden. Die anderen Schränke waren mit einer bronzenen Plakette versehen, auf die der Name des Spielers eingraviert war. Myrons Schrank hatte keine solche Plakette. Stattdessen klebte ein Stückchen weißer Tapeverband auf der Tür, auf den jemand mit schwarzem Filzstift M. BOLITAR gekritzelt hatte. Das zeugte nicht unbedingt von großem Vertrauen.
Er blickte sich um auf der Suche nach jemandem, mit dem et sich unterhalten konnte, aber die Walkmans waren ideale Raumteiler. So hatte jeder einen Raum für sich. Myron sah, dass Terry »TC« Collins, der berüchtigte, lamentierende Superstar des Teams, alleine in einer Ecke saß. TC wurde in den Medien gerade als das neueste Beispiel für den verhätschelten Profisportler vorgeführt, der die edle Welt des Sports, wie wir sie kennen, »kaputtmachte« - was auch immer das heißen sollte. TC hatte einen echten Prachtkörper: zwei Meter sieben groß, muskulös und drahtig. Sein kahlrasierter Kopf glänzte im Licht der Leuchtstoffröhren. Gerüchteweise hieß es, dass TC schwarz wäre, aber es war schwierig, überhaupt ein ungefärbtes Hautfleckchen unter den Werken seines Tattoo-Künstlers zu entdecken. Die obskuren Tintenbilder bedeckten beinahe alle sichtbaren Körperflächen. Auch Body Piercing schien für TC eher ein Lebensstil als ein Hobby zu sein. Der Typ sah aus wie das aggressive Gegenstück zu Meister Propper.
Es gelang Myron, Blickkontakt zu TC aufzunehmen. Er lächelte und nickte kurz. TC sah ihn mit zornig funkelnden Augen an und wandte sich ab. Da hatte er sich schon den ersten Freund gemacht.
Sein Trikot hing am vorgesehenen Platz. Es war schon mit seinem Namen beflockt: BOLITAR. Er starrte es an. Dann nahm er es vom Kleiderbügel und schlüpfte hinein. Das alles löste Deja-vu-Anfälle aus. Der Stoff auf der Haut. Der schnürsenkelartige Bund an seinen Shorts. Das elastische Gummi an der Hüfte. Das kurze Gefühl der Enge, als er das Trikot über die Schultern zog. Die schnelle Bewegung mit der er es in die Hose steckte. Das Schnüren der Basketballstiefel. All das bereitete ihm quälenden Schmerz. Sein Atem ging schwer. Er blinzelte, um ein paar alte Bilder zu verdrängen. Er setzte sich und wartete, bis das Gefühl vorüberging.
Myron bemerkte, dass nur noch wenige von den Jungs Suspensorien trugen, sie bevorzugten jetzt diese engen Lycra-Shorts. Myron hielt sich ans Altbewährte. Mr Old Fashioned. Dann schnallte er ein Ding ums Bein, das als »Kniestütze« bezeichnet wurde. Es kam ihm aber vor wie ein Metallkompressor. Über das Ganze zog er dann die lange Trainingshose. Die Beine hatten Druckknöpfe an der Außenseite, so dass der Spieler sie sich theatralisch vom Leib reißen konnte, wenn er eingewechselt wurde.
»Na Kleiner, wie sieht's aus?«
Myron stand auf und schüttelte Kip Corovan die Hand, einem der Assistenztrainer des Teams. Kip trug eine karierte Jacke, die ungefähr drei Nummern zu klein für ihn war. Die Ärmel ließen weite Teile der Unterarme frei. Der Bauch ragte trotzig hervor. Er sah aus wie ein Bauer beim halbjährlichen Square Dance.
»Alles okay, Trainer.«
»Gut, prima. Und nenn mich Kip. Oder Kipper. Die meisten nennen mich Kipper. Setz dich hin, entspann dich.«
»In Ordnung.« Kipper?
»Großartig, wir freuen uns, dich im Team zu haben.« Der Kipper zog sich einen Stuhl heran, drehte ihn mit der Lehne zu Myron und setzte sich rittlings drauf. Seine Hosennähte stöhnten bei dieser Bewegung. »Ich will ehrlich mit dir sein, Myron, okay? Donny war nicht gerade begeistert von der Sache. Das ist nicht persönlich gemeint. Aber Donny will sich seine Spieler halt selbst aussuchen. Er mag es nicht, wenn ihm da jemand aus der Chefetage reinredet, klar?«
Myron nickte. Donny Walsh war der Chefcoach.
»Gut, prima. Aber Donny ist eine ehrliche Haut. Er kennt dich noch von früher und fand dich damals klasse. Aber wir haben ein Team, das auf
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