Myron Bolitar 03 - Der Insider
würde er gleich losheulen. Myron wurde nicht schlau aus ihm. Schließlich nickte er nur schweigend. Er öffnete die Tür und ging.
Auf dem Weg zum Lift hörte Myron eine vertraute, heisere Stimme hinter sich: »Wenn das mal nicht das Comeback-Kid ist?«
Myron sah Audrey Wilson an. Sie trug ihr übliches Sportreporterkostüm: dunkelblauer Blazer, schwarzer Rollkragenpullover, stonewashed Jeans. Ihr Make-up war entweder sehr dezent oder gar nicht vorhanden, ihre Nägel kurz und unlackiert. Der einzige Farbfleck fand sich an ihren Füßen - türkise Chuck-Taylor-Turnschuhe. Sie sah ganz und gar unspektakulär aus. Ihren Gesichtszügen fehlte nichts, sie hatten aber auch wenig zu bieten. Sie waren einfach da. Ihr kurzes schwarzes Haar trug sie in einem Pagenschnitt mit Pony. »Rieche ich da Zynismus?«, fragte er.
Audrey zuckte die Achseln. »Du erwartest doch wohl nicht, dass ich euch das abkaufe, oder?«
»Was abkaufe?«
»Deinen plötzlichen Wunsch ...«, sie sah in ihrem Notizheft nach, »... deine eigene Legende mit dem dichten Teppich des Sports zu verweben.« Sie blickte auf und schüttelte den Kopf. »Dieser Clip kann aber auch einen Scheiß reden.«
»Ich muss mich umziehen, Audrey.«
»Wie wär's, wenn du mir vorher eben die Hintergründe erzählst?«
»Die Hintergründe, Audrey? Wieso fragst du nicht gleich nach einem Knüller. Ich find das toll, wenn ihr Reporter so was sagt.«
Sie musste lächeln. Es war ein nettes Lächeln. Breit und offen. »Bisschen defensiv, hm, Myron?«
»Ich? Niemals.«
»Wie wär's dann - um noch ein Klischee zu strapazieren -mit einem kurzen Statement für die Presse?«
Myron nickte und legte die Hand theatralisch auf die Brust. »Gewinner geben nie auf, und wer aufgibt, wird nie ein Gewinner. «
»Ist das Lombardi?«
»Felix Unger. In Männerwirtschaft. In der Folge, wo Howard Cosell mitgespielt hat.«
Er wandte sich ab und ging in Richtung Umkleideraum. Audrey folgte ihm. Sie war wohl die bekannteste Sportreporterin im Land. Sie berichtete für die größte Zeitung der Ostküste über die Dragons. Sie hatte ihre eigene Radiosendung auf WFAN zu einer begehrten Sendezeit mit enormen Hörerquoten. Sie hatte eine Talkshow namens Talking Sports am Sonntagmorgen auf ESPN. Und doch hatte ihre Stellung, wie die fast jeder Frau in diesem männerdominierten Beruf, etwas Angreifbares, war ihre Karriere, ganz gleich, wie erfolgreich sie sein mochte, immer nur einen halben Schritt vom Knick entfernt.
»Wie geht's Jessica?«, erkundigte sich Audrey.
»Gut.«
»Ich hab seit über einem Monat nichts von ihr gehört«, fuhr sie in einem affektierten Singsang fort. »Vielleicht sollte ich sie mal anrufen. Dann setzen wir uns zusammen, nur so unter uns Pfarrerstöchtern.«
»Wow«, sagte Myron, »wenn das mal nicht ein bisschen durchschaubar ist.«
»Ich versuch doch nur, es dir leichter zu machen, Myron. Hier läuft irgendeine komische Nummer ab. Du weißt, dass ich irgendwann dahinterkomme. Also kannst du es mir auch gleich erzählen.«
»Ich weiß wirklich nicht, was du meinst.«
»Zuerst verschwindet Greg Downing unter mysteriösen Umständen aus dem Team ...«
»Was ist so mysteriös an einer Knöchelverletzung?«
«... und dann nimmst du, sein alter Erzfeind, seinen Platz ein, nachdem du über elf Jahre lang nicht im Einsatz warst. Findest du das nicht auch ein bisschen komisch?«
Toll, dachte Myron. Er war noch keine fünf Minuten im neuen Job, und schon hatte jemand Verdacht geschöpft. Myron Bolitar, Meister der Undercoverermittlung. Sie erreichten die Tür zum Umkleideraum.
»Ich muss jetzt, Audrey. Wir unterhalten uns später.«
»Worauf du dich verlassen kannst«, sagte sie. Sie lächelte ihn voll Freundlichkeit und leisem Spott an. »Viel Glück, My-ron. Zeig's ihnen.«
Er nickte, atmete tief durch und öffnete die Tür zum Umkleideraum.
Showtime.
6
Als Myron in die Umkleidekabine trat, begrüßte ihn niemand. Niemand beachtete ihn. Die Spieler machten einfach mit dem weiter, was sie gerade taten. Sie sahen ihn nicht einmal an. Es wurde nicht still im Raum wie in den alten Western, wenn der Sheriff eine knarzende Tür aufstößt und in den Saloon schlendert. Vielleicht war das das Problem. Vielleicht musste die Tür knarzen. Oder Myron musste an seinem Schlendern arbeiten.
Seine neuen Teamkollegen waren über die Kabine verstreut wie Socken in einem Studentenwohnheim. Drei von ihnen hatten sich halb angekleidet, halb schlafend auf Bänken drapiert.
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