MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
Röhrenradio aus dem vorherigen Jahrhundert, das wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit auf einem einsamen Regalbrett an der Wand thronte.
Zu seiner Verwunderung spürte Niko eine seltsame alte Vertrautheit mit diesem Zimmer. Als habe die kleine Kammer auf ihn gewartet und würde ihn nicht nur willkommen heißen, sondern ihm auch Schutz und Geborgenheit versprechen. Beim Anblick der schrägen Holzdecke mit den groben Balken und den dunklen wurmstichigen Brettern erinnerte sich Niko plötzlich wieder an die unzähligen Sommerabende, in denen er sich bei offenem Fenster ins Bett gekuschelt und bis spät in die Nacht beim spärlichen Licht der kleinen Nachttischlampe gelesen hatte. Der Schein der Lampe hatte einen gelben und fast kreisrunden Lichtfleck an die Zimmerdecke geworfen, und manchmal hatte Niko sich vorgestellt, dass es sich um das große Auge eines geheimnisvollen Tieres handelte, das sich auf dem Firstbalken ausgestreckt hatte, um über ihn zu wachen. Das Zirpen der Grillen war durchs offene Fenster gedrungen, der schrille Laut der Käuzchen oder der dumpfe Ruf der Uhus, die im nahen Wald nisteten. Ein ums andere Mal war Niko dann ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. Besonders dann natürlich, wenn er in einem Buch schmökerte, das ohnehin schon gruselig war. Trotzdem hatte er stets weitergelesen und nicht eher Schluss gemacht, bis der Opa oder die Oma ihn energisch darauf hingewiesen hatten, dass es allerhöchste Zeit zum Schlafen war.
Ja, Niko spürte es: Der Ärger, den er auf der Fahrt durchs Dorf empfunden hatte, war mit einem Mal verflogen. Ach - so schlimm wird das hier schon nicht werden, ging es ihm durch den Kopf. Damit öffnete er den Verschluss seines Rucksacks und begann auszupacken.
Der alte Schmöker, den der Antiquar ihm geschenkt hatte, lag ganz oben auf seinen Sachen. Was Niko mehr als verwunderte. Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, ihn eingepackt zu haben. Wozu denn auch? Schließlich konnte er mit dem bruchstückhaften Text doch überhaupt nichts anfangen. Er musste sich vergriffen und ihn anstelle des neuen Fantasy-Romans eingepackt haben, den Rieke ihm geschenkt hatte. Als Belohnung für das Erreichen des Klassenziels und als kleinen Trost für den ungeplanten Abstecher nach Oberrödenbach.
Schade aber auch!
Niko wollte die alte Schwarte eben zur Seite legen, als er bemerkte, wie das Zeichen auf der Vorderseite, die Mannaz-Rune, zu leuchten begann. Im gleichen Augenblick befiel ihn grenzenlose Müdigkeit. Niko war, als würde alle Kraft aus seinem Körper herausfließen. Er gähnte, rieb sich die Augen, ließ sich auf das Bett fallen und schlief auf der Stelle ein. Noch im Schlaf hörte er den Ruf eines Falken, der wie aus weiter nebelhafter Ferne heranwehte.
KAPITEL 7
DIE WELT HINTER DEN NEBELN
D er Nebel war überall. Wohin Niko auch blickte, er sah nichts als wabernden grauen Dunst, der sich vor seinen Augen zusammenballte und ihm den Blick auf die Umgebung verwehrte. Niko hatte nicht die geringste Ahnung, wo er sich befand. Schon seit Stunden schien er ziellos umherzuwandern. Er erinnerte sich nicht, wo er losgegangen war, und er wusste ebenso wenig, wohin er wollte. Selbst der Grund seiner Wanderung war ihm unbekannt. Er wusste nur eines: Er musste weiter, immer weiter, wenn er an sein Ziel gelangen wollte. Wie von einer unsichtbaren Macht geleitet, setzte der Junge seinen Weg fort.
Endlich lichtete sich der Nebel ein wenig. Die grauen Schleier, die Niko wie Leichentücher umhüllten, wurden durchlässiger. Endlich erkannte er, dass er über karges Ödland lief, das mit Heidekraut, Wollgras und Schnabelried bewachsen war und offensichtlich, kaum dreißig Schritte von ihm entfernt, an ein Hochmoor grenzte. In den nebeligen Schlieren meinte Niko nämlich einen lichten Bruchwald aus verkrüppelten Kiefern und Moorbirken zu erkennen. Hin und wieder reckte sich auch struppiger Säulenwacholder aus dem Dunst empor. Eine fast unwirkliche Stille lag über der Landschaft, gerade so als befände sie sich jenseits von Zeit und Raum. Plötzlich klang ein Vogelschrei an Nikos Ohr: Kein Zweifel, es war der Schrei des Falken, den er schon mehrere Male gehört hatte.
Niko drehte sich um die eigene Achse und spähte nach allen Seiten. Zunächst konnte er nichts erkennen. Doch als er den Blick erneut auf den Bruchwald richtete, erklang der Ruf des Vogels ein zweites Mal - und im gleichen Augenblick formte sich das Bild eines
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