MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
uns eine reiche Ernte bescheren. Und sobald die Schweine und Ziegen sich rund und fett gefressen haben, haben wir auch wieder Fleisch in Hülle und Fülle.«
»Das dauert noch Monde«, wandte Ayani trotzig ein. »Aber in den Bächen wimmelt es jetzt schon von Fischen. Ihre Leiber sind prall wie selten zuvor. Warum also sollen wir warten?«
Arawynn atmete tief durch und sah sie beschwörend an. »Weil Rhogarr von Khelm alle Gewässer des Landes und alle Wälder zu seinem persönlichen Besitz erklärt hat. Und weil uns das Fischen und Jagen bei Todesstrafe verboten ist - deshalb, Ayani!«
»Dazu hat er kein Recht!«, rief das Mädchen empört. »Die Schätze der Natur gehören allen Wesen, die unter dem Großen Taglicht leben und die Luft atmen, die der Wind über alle Teile unserer Welt weht. Oder hast du schon einmal gehört, dass jemand die Luft als sein persönliches Eigentum beansprucht?«
»Nein.« Arawynn verdrehte die Augen. »Natürlich nicht.«
»Na, also! Wieso sollte es sich mit den Fischen in den Gewässern und dem Wild in den Wäldern anders verhalten? Sie alle sind Geschöpfe der gleichen Natur, die die Unsichtbaren uns geschenkt haben. Niemand kann uns Alwen verbieten, sich dieser großzügigen Geschenke zu bedienen - niemand!« Ayanis Stimme wurde laut. »Schon gar nicht dieser hochmütige Kerl aus der Marschmark, der den Thron von Helmenkroon gegen jedes Recht an sich gerissen hat. Er ist nicht unser Herr und Gebieter, und ich denke gar nicht daran, mich seiner Willkür zu beugen.«
Arawynns Gesicht verdüsterte sich. »Hör zu, Ayani«, sagte er schließlich und seufzte. »Du hast ja recht. Dass Rhogarr von Khelm uns das Fischen und Jagen verbietet, ist nicht nur schändlich, sondern verstößt tatsächlich gegen die Gesetze der Unsichtbaren. Trotzdem müssen wir seine Befehle befolgen, ob uns das gefällt oder nicht. Es sei denn...«
Obwohl Ayani wusste, was der Bruder sagen würde, schaute sie ihn abwartend an. »Ja?«
»Es sei denn, wir wären unseres Lebens überdrüssig«, fuhr Arawynn fort. »Du weißt genauso gut wie ich, dass dieser Tyrann jeden Verstoß gegen seine Anordnungen gnadenlos ahndet. Jeden, der beim Fischen oder Jagen erwischt wird, erwartet der Kerker - womit er, falls er Glück hat, wenigstens noch für ein paar Monde am Leben bleibt. Bevor er dann in den finsteren Verliesen von Helmenkroon elendiglich zugrunde geht.«
Ayani schluckte. »Meinst du, dass der Vater …?« Sie war nicht in der Lage, den Satz zu beenden.
»Ach, Ayani.« Arawynns Gesicht wurde weicher und er legte die Hand auf den Arm seiner Schwester. »Niemand weiß, wie es ihm ergangen ist. Aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Das Einzige, was ich sagen wollte, ist: Schon viele mussten es teuer oder sogar mit dem Leben büßen, selbst wenn sie nur einen mickrigen Fisch aus einem Bach gezogen haben, der nicht mal einen Winzling satt gemacht hätte.«
Ayanis Mundwinkel zuckten, während die Worte des Bruders ihr im Kopf herumsprangen. Arawynn hatte kein bisschen übertrieben. Rhogarrs grenzenlose Grausamkeit war in ganz Mysteria berüchtigt, und jeder Alwe wusste, dass der Herrscher der Marschmark keinerlei Gnade kannte. Schließlich war er nicht davor zurückgeschreckt, selbst seine eigene Tochter dem Henker zu übergeben, nur weil die sich geweigert hatte, den von ihm ausgewählten Mann zu ehelichen. Und dennoch: »Dazu müssen Rhogarrs Schergen mich erst einmal erwischen«, sagte Ayani mit fester Stimme. »Aber das wird ihnen nicht gelingen, Arawynn. Weil ich nämlich stets die Augen offen halte und mich schon beim geringsten Anzeichen von Gefahr davonmache.«
Der Bruder entgegnete nichts, sondern sah sie nur für eine Weile schweigend an. »Dir ist einfach nicht zu helfen«, sagte er schließlich. »Aber dann tu mir wenigstens den Gefallen und pass wirklich gut auf dich auf. Und nimm das hier mit!« Arawynn trat auf den Holzstapel zu, der neben dem Kohlenhaufen an der Rückwand der Hütte lehnte, sah sich rasch nach allen Seiten um und steckte dann die rechte Hand in einen schmalen Hohlraum zwischen den Scheiten.
Voller Staunen beobachtete Ayani, wie der Bruder ein Kurzschwert daraus hervorzog und es ihr auffordernd entgegenhielt. »Für den Fall, dass du dich zur Wehr setzen musst«, erklärte er mit feinem Lächeln.
»Aber …« Ayani war wie vor den Kopf geschlagen. »Wo... woher hast du das? Der Besitz von Schwertern und Waffen
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