MYSTERIA - Das Tor des Feuers (German Edition)
letzten Tagen haufenweise Zeug eingebildet, das unmöglich real gewesen sein konnte?
Den Falkenschrei zum Beispiel, immer wieder. Oder den geheimnisvollen Mann, der aus der Nebelwolke bei den Findlingen getreten war und angeblich schon seit langer Zeit auf ihn wartete. Aber das hier - das war der Gipfel! Noch schlug sein Herz vor Angst vor dem dunklen Verfolger... Wie hatte er das nur halluzinieren können?
Zitternd zog Niko den Umhang von den Schultern, um ihn zurück auf den Bügel zu hängen - und stutzte dabei. Warum trug er das Cape plötzlich falsch herum? Als er es umgelegt hatte, hatte die graue Seite nach außen gezeigt, da war er sich ganz sicher. Aber warum war nun auf einmal die blassblaue Innenseite des Umhangs nach außen gekehrt?
Niko schluckte. Erneut erfasste ihn Schwindel - Schwindel vor seinen eigenen Gedanken: Konnte es sein, dass seine Reise in diese andere Welt hinter den Nebeln doch keine Einbildung gewesen war? Konnte es sein, dass der Umhang sie gesteuert hatte - nach einem ganz einfachen Prinzip? Er hatte das Cape bei seinem Sturz verloren, daran konnte er sich noch gut erinnern. Und dann … Womöglich hatte er es in der Aufregung falsch herum wieder übergeworfen …?
Deshalb also war er urplötzlich wieder auf den Dachboden zurückgekehrt - so wie er vorher mit der grauen Seite nach außen hingereist war!
Ein Verdacht … ein Gedanke, sagte sich Niko, durch nichts bewiesen. Aber die Ahnung, ja, die innere Gewissheit, dass er richtig vermutete, ließ Niko erneut in ein haltloses Zittern ausbrechen. Die Stimme, die ihn wie aus dem Nichts ansprach, erschreckte ihn so sehr, dass er mit einem lauten Schreckensschrei aufsprang und im Staub des Dachbodens herumwirbelte.
Zum Glück war es nur seine Mutter. Rieke stand in der offenen Speichertür und blickte ihn erstaunt an. »Was ist denn los, Niko?«, fragte sie. »Ich bin’s doch nur - oder habe ich mich vielleicht in ein Monster verwandelt?«
»Nein, nein«, entgegnete Niko rasch. »Ich... äh … ich hab dich nur nicht kommen hören.«
»Tja.« Rieke grinste breit. »Dann muss ich die Stiege hochgeschwebt sein wie eine Elfe. Komm bitte mal mit runter, Elfensohn! Opa sagt, er hat eine Überraschung für dich.«
»Jessabelle Andersen?« Niko starrte Opa Melchior an, der mit einer Tabakspfeife im Mundwinkel auf der Holzbank neben dem Eingang seines Hauses saß. Ein großer Holunderbusch, der bis zur Regenrinne reichte, stand gleich daneben. Die sattgrün belaubten Zweige bogen sich unter den tiefschwarzen Beeren und warfen einen breiten Schatten auf den Lieblingsplatz des Opas, sodass es dort trotz der mittäglichen Hitze gut auszuhalten war. Nach den Erlebnissen von vorhin hatte Niko trotzdem größte Mühe, sich auf das zu konzentrieren, was der Opa ihm sagen wollte. »Wer soll das denn sein?«, fragte er verwirrt.
»Wessie wohnt wim Wachwarwof«, nuschelte Melchior, bevor er die Piepe nach einem kräftigen Zug aus dem Mund nahm. »Ihre Familie ist vor einem halben Jahr dort eingezogen.«
»In den Hof vom alten Schorsch Brauer?« Niko erinnerte sich noch flüchtig an den Bauern, der vor einigen Jahren das Gehöft bewirtschaftet hatte, das gut zweihundert Meter vom Anwesen seines Opas entfernt war. Der Pfortnerhof, wie er genannt wurde, war viel größer und früher einmal ein stattliches Hofgut gewesen. Trotzdem waren die Gebäude vom Ellerhof aus nicht zu sehen, weil ein kleines Wäldchen den Blick darauf versperrte.
»Genau.« Wieder ließ Opa Melchior die Pfeife dampfen. »Jessies Eltern haben das Gehöft von Schorschs Tochter gekauft.«
»Und was ist mit dem Sohn - Walter?«, mischte Rieke sich ein, die mit einem Apfel in der Hand aus dem Haus kam und sich neben ihren Vater setzte. »Wenn ich mich recht entsinne, hat der sich lange gegen einen Verkauf gesträubt. Deshalb hat die alte Bude doch ewig leer gestanden.«
»Stimmt.« Melchior nickte. »Dabei hatte Walter Brauer, genau wie seine Schwester, mit der Landwirtschaft längst nichts mehr am Hut und ist schon vor Jahren von hier weggezogen.«
»Ich weiß - nach Falkenstedt. Während meiner Zeit auf der Bibliothekarsschule habe ich seine Wohnung in Schuss gehalten, um mir ein wenig Geld zu verdienen.« Plötzlich kniff sie die Augen zusammen. »Aber - warum sagst du ›hatte‹ und ›war‹?«
»Weil Walter vor einem guten halben Jahr gestorben ist.«
»Was?« Rieke wirkte betroffen. »So alt war
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