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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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Bluterguss und ein Biss innen an der Lippe. Wieder versuchte Tom, auf die Beine zu kommen, und spürte etwas unter seiner Hand. Es war seine Brieftasche, ohne das Geld und die Kreditkarten natürlich. Dennoch steckte er sie sorgfältig in seine Tasche zurück. Er fragte sich erneut, wie spät es sein mochte, und schob seinen Jackenärmel zurück – um festzustellen, dass seine Uhr ebenfalls verschwunden war. Natürlich. Warum hatte er nicht damit gerechnet? Ihm wurde klar, wie langsam er war, wie geschädigt und bruchstückhaft seine Denkprozesse. Er rief sich in Erinnerung, dass er an diesen Ort gekommen war, um die Wahrheit zu suchen, wie schmerzlich sie auch sein mochte, doch er hatte nichts weiter getan, als sich zu betrinken. Eine Woge aus Selbsthass schlug über ihm zusammen, gefolgt von Selbstmitleid. Er kannte diese Reaktion. Er erinnerte sich aus ferner Vergangenheit daran. Nichts ändert sich wirklich, sagte er sich.
    Ein weiterer Gedanke kam ihm in den Sinn: um Hilfe zu rufen. Doch als er nach seinem Handy griff, stellte er fest, dass auch dieses verschwunden war. Er rappelte sich auf, um seinen Weg in Richtung der Lichter fortzusetzen. Er wusste nicht, ob er seine Kraft überschätzte oder die Menge, die er getrunken hatte, unterschätzte. Er wusste nur, dass er nach einigen Schritten weiche Knie bekam und hilflos zur Seite taumelte. Er wusste nicht, wohin er fiel oder worauf nur dass sich ein schwarzer Vorhang über ihn senkte.
    Tom war klar, dass es der letzte Vorhang sein konnte, der Vorhang des Todes. Doch in diesem Augenblick war es ihm egal.

39
    Tom öffnete die Augen und sah nur einen Streifen eines grauen, kalten Himmels, der von zwei schwarzen Wänden begrenzt wurde. Vielleicht war es das Licht, das ihn geweckt hatte, oder – wahrscheinlicher – die schmerzhafte Trockenheit in seinem Mund und dem Hals. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand oder warum er mitten in einem Haufen Müllsäcke aus Plastik und Pappkartons lag. Er schien sich in einem Gang zwischen zwei Häusern zu befinden, und nach dem Geruch zu urteilen, war eines davon eine billige Burger-Bude: Die Luft stank nach abgestandenem Bratenfett und Ketchup.
    Von dem Geruch wurde ihm übel. Er würgte, erbrach aber nur saure Galle. Die Anstrengung wurde vom Rhythmus höllischer Hammerschläge in seinem Schädel begleitet, die im Takt mit seinem Herzschlag dröhnten.
    Er ließ sich Zeit, bevor er aufzustehen versuchte. Selbst dann war es ein hartes Stück Arbeit. Die größten Hindernisse waren seine Steifheit und die höllischen Kopfschmerzen, die bei jeder Bewegung schlimmer wurden. Doch Tom kannte sich mit dieser Art von Kopfschmerzen aus. Er erinnerte sich gut daran. Sie verebbten allmählich und wurden schließlich unwirklich, wie die Erinnerung an jeden Schmerz – bis zum nächsten Mal. Und es hatte damals immer ein nächstes Mal gegeben. Bis er mit dem Trinken aufgehört hatte.
    Nun aber waren die Schmerzen wieder da.
    Der Hinterhofgang und die Müllsäcke und Pappkartons hatten ihn vor der schlimmsten Kälte bewahrt, doch er fühlte sich immer noch, als wäre die Nachtluft ihm bis ins Mark gedrungen.
    Er brauchte einen Drink.
    Erstaunlich, wie schnell das Verlangen zurückkehrt, dachte er. Man denkt, es ist verschwunden, aber es war niemals ganz weg. Man kann sich vormachen, was man will, kann den Anblick, Geschmack oder Geruch von dem Zeug vermeiden. Doch ein einziger Schluck reicht aus, damit alles wieder anfängt. Deshalb ist man im günstigsten Fall ein Alkoholiker, der sich erholt, aber niemals ein geheilter Trinker.
    Während Tom lief und sein Kreislauf wieder in Gang kam, wurde sein Kopf ein wenig klarer. Abgesehen von dem Verlangen nach Alkohol brauchte er Wasser. Er war wie ausgedörrt.
    Tom näherte sich einer Straßengabelung, um die sich eine Gruppe von Gebäuden scharte, von denen jedes auf merkwürdige Art von seinen Nachbarn getrennt war. Offensichtlich war das Bauland hier billig, sodass es genug davon gab, um verschwenderisch damit umzugehen. Seit den Fünfzigerjahren war hier eine Geisterstadt. Die Gegend wirkte trostlos und kalt. Ein paar Läden, ein billiges Hotel, ein hässlicher Wohnblock. Der Verkehr blieb so dünn wie am Vorabend, und kein einziges Taxi war in Sicht.
    Tom stand am Rand des Bürgersteigs und fragte sich, was er tun sollte. In seiner Hosentasche fand er zwei Dollar fünfundzwanzig in kleinen Münzen, die seinen Angreifern offenbar entgangen waren. Er ging in einen der Läden, der gerade

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