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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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hörte.
    »Hallo, Julia. Wie geht’s dir heute?«
    Ein strahlendes Lächeln. »Gut, Dr. Hunt, danke.«
    Hunt bat Sally, zum nahen Krankenhaus zu gehen und ein paar Akten zu holen. Danach, sagte er, könne sie direkt Mittagspause machen.
    »Okay, Dr. Hunt«, sagte Sally, die sich freute, eine zusätzliche Stunde für sich selbst zu haben. »Ich sehe Sie dann heute Nachmittag. Bye, Julia.«
    »Bye, Sally.«
    Hunt hielt die Tür zu seinem Büro auf »Komm rein, Julia.« Wie immer ging sie vor ihm hinein und ließ sich auf ihrem gewohnten Platz nieder. Dann wandte sie sich ihm zu und lächelte ihn strahlend an, bereit, anzufangen. Wie jedes Mal fand diese Verwandlung erst statt, wenn die Tür sich geschlossen hatte, beim gedämpften Klicken des Riegels. Auch Julias Stimme und ihre Körperhaltung veränderten sich. Das unschuldige neunjährige Mädchen wurde augenblicklich durch die frühreife, unanständige Vierzehnjährige mit ihren schmutzigen Gedanken ersetzt.
    »Okay, Mann, was soll’s sein? Willst du ‘ne Nummer? Soll ich dir einen blasen? Wie hättest du’s gern?«
    »Lass das, Melanie«, sagte er müde. »Du weißt genau, dass hier nichts dergleichen läuft. Wie auch?«
    Sie lächelte wissend und genoss die Macht, die sie über ihn hatte, wie sie sehr genau wusste.
    »Am Ende wirst du sie umbringen müssen«, sagte sie. »Das ist die einzige Möglichkeit, wie du mich zum Schweigen bringen kannst. Du wirst die Göre umbringen müssen. Diese beschissene Julia.«

ZWEITER TEIL
    Geständnisse

45
    Natur oder Erziehung? Werden wir mit fertigem Schaltplan geboren oder durch Erfahrungen geprägt?
    Es genügt nicht zu sagen: »Von beidem etwas.« Das ist eine Ausflucht, keine Antwort. Es erklärt nicht, wie das Gleichgewicht funktioniert, oder was der wahre Unterschied zwischen beidem ist.
    Selbstbeobachtung hilft auch nicht weiter. Sie kann uns etwas darüber sagen, was wir sind, aber nicht, warum . Ich erinnere mich gut an den Tag, an dem ich entdeckt habe, was ich bin, doch ich frage mich mein Leben lang nach dem Warum, ohne der Antwort auch nur ein Stück näher zu kommen.
    Was ich bin, habe ich in Colorado entdeckt. Es war die Idee meines Vaters gewesen. »Wildwasser-Rafting – ein Abenteuer für die ganze Familie«, stand in der Broschüre. An vieles kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Es ist alles schon ziemlich verschwommen.
    Doch was meiner Schwester damals passiert ist, weiß ich noch ganz genau.
    Cassie war vierzehn, vier Jahre älter als ich. Sie hatte Naomi mitgebracht, ihre beste Freundin. Der Fairness halber muss ich sagen, dass unsere Eltern auch mir die Gelegenheit gegeben hatten, jemanden mitzubringen, aber ich hatte erklärt, lieber allein zu fahren. In Wirklichkeit hatte ich kaum Freunde, erst recht keinen engen Freund, den ich zu gemeinsamen Ferien eingeladen hätte. Außerdem wusste ich, dass ich so viel Nervendes von den Mädchen würde einstecken müssen, dass ich meine Demütigung lieber ohne Zeugen gleichen Geschlechts und Alters ertragen wollte.
    Doch wie sich herausstellte, entwickelten die Dinge sich nicht so schlecht, wie es hätte sein können: Die Mädchen waren sich selbst Gesellschaft genug, um mich in Ruhe zu lassen, und überhaupt gab es Grenzen, weil unsere Eltern ja dabei waren.
    Das Rafting machte mir Spaß. Natürlich hatten wir einen Führer, und obwohl er uns versprach, dass wir alle vollkommen sicher wären, solange wir uns an die Regeln hielten, war es aufregend – wie eine Achterbahnfahrt, bei der man wusste, dass man sicher am Sitz angeschnallt war und trotzdem das Gefühl hatte, man könnte jede Sekunde zerschmettert werden.
    Und ein Unfall konnte natürlich immer geschehen.
    Was mit Cassie passierte, war ein Unfall. Ein gewisses Maß an Dummheit spielte allerdings auch eine Rolle. Und ein paar andere Dinge. Es geschah nicht auf dem Wasser. Es war an einem Morgen, nachdem wir die Nacht in den beiden Zelten verbracht hatten, die wir dabeihatten. Sie waren unglaublich komfortabel, mit aufblasbaren Betten und sogar mit einem Heizgerät. Wir hatten Konservendosen und Früchte und Gemüse in speziellen Kühltaschen. Mitten in der Wildnis hatten wir den Komfort, den wir von zu Hause gewöhnt waren.
    Dennoch hatte die Wildnis ihre eigenen Gesetze. Und man musste aufpassen. Normalerweise behielten meine Eltern oder Charlie, unser Reiseleiter, die Mädchen und mich im Auge, egal wo wir waren. Doch an diesem schicksalhaften Morgen hatten sie nicht so gut aufgepasst wie

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