Mysterium
Sie verdammter …«
»Ich versuche nur, Ihnen klar zu machen, dass Sie ein toter Mann sind, Tom. Sie sind jetzt schon tot. Ein Geist. Begreifen Sie das nicht?«
Er sprach voller Überzeugung. In seinen Augen loderte ein Wahnsinn, der Tom verstummen ließ.
»Ich habe Sie umgebracht, Tom. In der Nacht, von der Sie träumen. Sie waren in dem Haus in jener Nacht, in diesem Haus, und haben die Leiche gefunden. Ich habe Sie wegrennen sehen und bin Ihnen nachgelaufen. Aber bevor ich etwas tun konnte, wurden Sie von einem Betrunkenen in einem Lieferwagen angefahren. Also habe ich Sie umgebracht. Ich habe Sie erstickt. Sie hatten keinen Puls mehr.«
Er machte eine Pause, und sein Blick bohrte sich gleichsam in Toms Augen, als wollte er ihm diese Botschaft ins Hirn brennen.
»Ich konnte nicht das Risiko eingehen, dass Sie jemanden hierher fuhren.«
Wieder machte er eine Pause, um seine Worte einwirken zu lassen. Vielleicht auch, um die Befriedigung auszukosten, die es ihm verschaffte, die Worte auszusprechen.
»Sie müssen verstehen, Tom, dass Sie kein Recht zu leben haben. Was wiederum bedeutet, dass Ihre Tochter kein Recht hatte, geboren zu werden.«
Seine Mundwinkel zuckten. Tom brauchte einen Augenblick, bis er begriff, dass es eine Art Lächeln sein sollte.
»Es ist das Werk eines Gottes, der dringend Unterhaltung braucht, meinen Sie nicht auch? Wie trübselig wäre seine Welt ohne uns.«
Tom hatte dem Wahnsinn des Mannes, der vor ihm stand, nichts entgegenzusetzen. »Du verdammter Hurensohn … !« Mehr konnte er nicht sagen. Die Worte kamen wie ein Seufzer. Wie ein letzter Atemhauch. Wie der letzte Fluch eines Sterbenden. Sie hinterließen bei Brendan Hunt keinen Eindruck.
»Da gibt es nichts mehr zu diskutieren, Tom, wir verschwenden nur Zeit. Geben Sie jetzt diesen Code ein oder nicht?«
Toms Blick huschte zu der Fernbedienung, die noch dort lag, wo er sie auf den Tisch geworfen hatte. Er griff danach.
»Wie war das noch mal?«
Hunt wiederholte den Code. Mit tauben, gefühllosen Fingerspitzen drückte Tom auf die Tasten. Die Stahltür in der Wand öffnete sich und schwang von ihnen weg. Dahinter sah Tom einen schwarzen Mercedes in einer Garage. Der Wagen war mindestens zwanzig Jahre alt.
»Er gehört Ihnen«, hörte er Hunt sagen, »unter Ihrem Pseudonym Adam St. Leonard. Ihre Fingerabdrücke sind da schon überall. Das ist der Wagen, den Sie immer benutzen, wenn Sie hierher kommen, wie Sie es viele Jahre lang von Zeit zu Zeit getan haben. Sie parken ihn in einer Garage, die auch unter dem Namen Adam St. Leonard gemietet wurde, in der man Ihr eigenes Auto finden wird. Ihr Doppelleben wird zur Legende, Tom. Ich selbst plane schon einen Artikel, vielleicht sogar ein Buch über Sie. Jetzt machen Sie den Kofferraum auf.«
Tom wusste, dass es immer noch seine einzige Chance war, auf Zeit zu spielen. Er bewegte sich wie ein Zombie und ging durch die Tür in die abgedunkelte Garage. Hinter dem Wagen sah er eine weitere, größere Stahltür, so dick und schwer wie die Tür des Tresorraums einer Bank. Er erinnerte sich, dass er die Tür von außen gesehen, sogar berührt hatte, erst gestern, als er diesen Ort entdeckt hatte. Es war die Tür, die an die Stelle der alten, verrotteten Holztür aus seinem Albtraum getreten war.
»Öffnen Sie den Kofferraum und bringen Sie mit, was drin ist.«
Während Tom auf den Wagen zuging, warf er verstohlene Blicke nach links und rechts auf der Suche nach etwas, das er als Waffe benutzen könnte. Aber da war nichts. Tom erreichte den Mercedes und öffnete den Kofferraum.
Sein Verstand weigerte sich zu akzeptieren, was er sah. Toms Beine verwandelten sich in Blei, und er bekam keine Luft mehr. Julia lag bewusstlos da – oder tot, es war unmöglich zu sagen. Tom streckte die Hand aus; ihre Haut fühlte sich warm an. Er beugte sich hinunter und legte sein Gesicht an ihres; sie atmete. Mit einem unterdrückten Seufzer der Erleichterung nahm er sie in die Arme.
»Sie schläft nur, Tom. Und wenn wir alles richtig machen, wird sie nie wieder das Bewusstsein erlangen. Das hängt von Ihnen ab.«
Tom drehte sich zu Hunt um, der im Durchgang stand, und ging auf ihn zu. Er konnte nichts anderes tun; es gab keinen Fluchtweg, kein Versteck. Und doch musste er etwas unternehmen. Er schwor es bei Gott – dem Gott, an den er nicht glaubte und der trotzdem seine allerletzte Chance war.
»Was haben Sie vor, Hunt?«
Hunt musterte Tom einen Augenblick; dann sagte er im Tonfall eines
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