Mysterium
vernünftige Erklärung dafür, dass er hier war.
Er bewegte sich nun schneller voran, weniger vorsichtig, stieß gegen Ecken und Kanten und stolperte über Gegenstände, die er nicht mehr zu identifizieren versuchte. Seine Hände fuhren die Wände entlang und suchten nach Spalten oder Rissen, die vielleicht einen Ausweg boten. Er bemerkte nicht einmal, dass er auf einen Schalter gestoßen war, bis mit leisem elektrischen Knistern zwei Neonröhren aufflackerten und ihr grelles weißes Licht verströmten. Tom sog dieses Licht mit jeder Pore seines Körpers in sich auf Seine Erleichterung war unbeschreiblich.
Augenblicke später sehnte er wieder die Dunkelheit herbei.
Es war kein normaler Keller. Es war ein Verlies, auch wenn es keine Ketten oder Fußfesseln gab, keine Streckbänke oder Daumenschrauben oder andere Folterinstrumente – bis auf das, was er in der Dunkelheit für einen Zahnarztstuhl gehalten hatte, und das er nun genauer betrachten konnte. Es war in der Tat etwas Ähnliches, wenn es auch mit Riemen ausgestattet war, um jemanden auf diesen Stuhl zu fesseln. Der hintere Teil ähnelte einem Schaukelpferd mit einer obszönen, penisförmigen Verlängerung am Sattel. Er musste gegen das Ding gestoßen sein, als er im Dunkeln herumgestolpert war, denn es schaukelte immer noch lautlos vor und zurück, als säße ein unsichtbarer Reiter darauf.
Tom drehte sich um und sah nun auch das vermeintliche Kinderplanschbecken. Im grellen, klinischen Licht der Deckenbeleuchtung besaß es ein viel unheimlicheres, erschreckendes Aussehen: Das Becken war mit Zink oder Stahl ausgekleidet und fiel tatsächlich zu einem Abfluss in der Mitte ab. In einer Ecke lag ein aufgerollter Wasserschlauch, der an einen Hahn an der Wand angeschlossen war. Irgendetwas daran erinnerte Tom an Leichenhallen und Obduktionstische. In die Wand zu seiner Linken war etwas eingelassen, das wie ein kleiner Ofen aussah. Darüber, zusammen mit kleineren Röhren und mehreren elektrischen Leitungen, war ein Stahlrohr an der Wand befestigt, das ein Rauchabzug sein konnte. Die Arbeit war sauber ausgeführt, sah aber irgendwie amateurhaft aus. Vielleicht, überlegte Tom, weil es eine Arbeit war, die man selbst machen musste , weil man keinem anderen erzählen wollte, zu welchem Zweck man sie getan haben wollte …
Er schloss die Augen und versuchte, seine Gedanken zu verleugnen und den Ekel zu bekämpfen, der ihn zu überwältigen drohte.
Tom begann, Julias Namen zu rufen, und während er rief drehte er sich langsam um sich selbst. Erst jetzt sah er in einer der Ecken eine Treppe … Holzstufen, die zu einer Klappe in der Decke führten.
Mit schnellen Schritten durchquerte er den Raum. Dann stand er auf den Stufen und mühte sich mit dem Riegel der Klappe ab, doch sie war von außen abgeschlossen. Wie hatte er etwas anderes erwarten können? In hilfloser Wut trommelte er dagegen, bis seine Fäuste schmerzten. Dann ging er zur Stahlplatte zurück. Nun sah sie noch mehr wie eine Tür aus, doch ohne Schloss oder Griff auf dieser Seite. Tom trat wütend gegen die massive Tür, bis er es aufgab, um sich nicht zu verletzen.
Bilder entstanden vor seinem inneren Auge, obwohl er sie zu unterdrücken versuchte. Diese Bilder zeigten, weshalb dieser Raum existierte. Welchem Zweck er diente. Was hier geschehen war. Tom schloss die Augen, doch die Bilder wurden nur umso deutlicher. Er würde den Verstand verlieren, wenn er hier nicht rauskam. Wenn er keine Antwort auf die Frage bekam, in die seine albtraumhaften Fantasien ihr Gift gemischt hatten.
Was war mit seiner Tochter geschehen? Was hatte Hunt mit ihr vor? Was hatte er ihr angetan?
Tom hörte, wie über seinem Kopf ein Riegel aufgeschoben wurde, dort, wo die Holzstufen waren. Die Klappe öffnete sich, und die untere Körperhälfte eines Mannes erschien.
Dann eine Hand mit einer Waffe – etwas Ähnliches wie eine Waffe.
»Das ist genau so ein Ding, wie ich es vorhin schon mal bei Ihnen verwendet habe«, erklärte Hunt, der Toms Blick gefolgt war. »Nur, dass dieses gute Stück auch auf einige Entfernung wirkt, und ich muss jetzt ein bisschen Abstand zwischen uns halten.«
Plötzlich erschien ein rot leuchtender Punkt auf Toms Brust. »Das Gerät ist lasergesteuert«, sagte Hunt. »Kann gar nicht danebengehen.«
Tom hob den Blick und sah Hunt in die Augen. »Wo ist Julia?«
»Ihr fehlt nichts. Sie ist nicht weit von hier.«
»Ich will sie sehen.«
»Das kommt früh genug.«
Tom machte einen Schritt
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