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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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Gesetzes überlassen würde. Tom würde sein Leben hier und jetzt beenden, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.
    »Nein!«
    Es war ein Befehl, und er kam von Julia. Tom drehte sich um und sah, dass sie stand. Die Riemen, mit denen sie angeschnallt gewesen war, waren geöffnet und hingen lose herunter. Tom konnte es nicht fassen. Julia hätte die Riemen niemals allein öffnen können, und doch stand sie da, dieser schlanke, kleine Körper; er stand dort mit einer Kraft und einem Selbstbewusstsein, die nicht seiner Tochter gehörten, nicht einem Kind . Es war etwas, das woanders herkam, eine unbekannte, rätselhafte Macht.
    »Du kommst zu spät«, rief Tom ihr zu. »Ich werde ihn erledigen und meine Tochter hier rausholen!«
    » Ich habe ihn hergebracht. Er ist in meiner Gewalt. Ich werde mich um ihn kümmern.«
    Die Stimme gehörte ebenso wenig Julia wie die verzerrten Lippen und der hasserfüllte Blick, der auf ihm brannte, als wäre er ebenso sehr der Feind wie Hunt.
    »Ihr seid beide in meiner Gewalt. Die ganze Zeit schon.«
    Tom sah, dass Hunt sich wieder bewegte. Er hob die Pistole, um zu feuern – und schrie vor Schmerz. Klappernd fiel die Waffe zu Boden. Tom öffnete und schloss die Hand. Sie war rot und schmerzte höllisch. Die Waffe hatte gebrannt wie heiße Kohlen, als er versucht hatte, den Abzug durchzuziehen.
    Melanies wütender Blick, der sich wie eine Collage aus Fleisch und Blut über Julias Gesicht gelegt hatte, richtete sich weiter auf ihn. »Ich habe ihn für uns hergebracht«, kreischte sie. »Für uns alle . Wir brauchen ihn hier, damit er in der Hölle brennt!«
    Hunt stand jetzt auf den Füßen; Blut strömte seinen Hals hinunter und verwandelte sein Hemd in einen roten, klebrigen Lappen. Er starrte das Mädchen an, als würde er mit einem Schrecken konfrontiert, den selbst er sich nie vorgestellt hätte. Unsicher machte er einen Schritt auf sie zu, als würde er gegen seinen Willen zu ihr hingezogen. Instinktiv bewegte sich Tom, um ihn aufzuhalten und sich ihm in den Weg zu stellen, um seine Tochter zu beschützen. Doch er wurde zur Seite geschoben. Nicht von Hunt, sondern von einer Kraft, die er nicht sehen konnte. Oder vielleicht vom höllischen Schmerz in der Hüfte, wo er vor wenigen Augenblicken von der Kugel getroffen worden war. Bis jetzt hatte er nichts gespürt, plötzlich aber verkrampfte sich sein Körper, und er krümmte sich vor Schmerz. Ein seltsamer Geruch stieg ihm in die Nase. Er fragte sich, ob es irgendein Nebenprodukt seiner Verwundung war, eine Art Geruchs-Halluzination eines Nervensystems, das den nahenden Tod spürte.
    Er hatte alle Mühe, sich aufrecht zu halten und seine Qual zu unterdrücken, doch die Tentakeln des Schmerzes krochen in jeden Teil seines Körpers. Er ging auf die Knie und hielt sich die Seite; dann rollte er nach vorn, hilflos, und lag wie ein Fötus da.
    Und dann sah er etwas auf der anderen Seite des Raumes.
    Eine der Röhren an der hinteren Wand war von einem Querschläger aufgerissen worden. Dieser Geruch war keine Halluzination: Es war ausströmendes Gas. Der Raum würde sich damit füllen, und sie alle würden sterben, wenn sie nicht schnellstens verschwanden. Tom versuchte, eine Warnung zu rufen, aber wieder durchfuhr ihn stechender Schmerz und raubte ihm den Atem. Er blickte zu Hunt, um festzustellen, ob auch er gesehen hatte, was Tom entdeckt hatte, doch Hunts Blicke huschten unruhig nach links und rechts, und seine Augen waren vor Entsetzen geweitet. Tom wusste, das Hunt Dinge sah, die er selbst nicht sehen konnte – Dinge, die sich ihm offenbar von allen Seiten näherten, denn er wich furchtsam zurück und versuchte, ihnen zu entkommen, doch es gab keinen Fluchtweg.
    Hunts Opfer waren zu ihm zurückgekehrt. Er war in einer Hölle gefangen, die er sich selbst bereitet hatte.
    Tom sah Julia an. Sie hatte sich nicht bewegt. Ihr starrer Blick war auf Hunt gerichtet, ungerührt, mörderisch.
    Während Tom sie beobachtete, hellte ein Winkel seines Gedächtnisses sich auf, und eine Erinnerung aus seiner Kindheit erschien – der alte Trick mit dem Brennglas, mit dessen Hilfe Sonnenstrahlen auf ein Stück Papier gebündelt wurden, bis es Feuer fing. Er erinnerte sich, dass einer der Jungs Insekten unter das Brennglas gelegt hatte. Sogar den Handrücken eines anderen Jungen hatte er versengt. Die Kraft des gebündelten Lichts war erschreckend gewesen.
    Nun beobachtete Hunt nicht nur die Wirkung dieses Lichts, sondern noch etwas anderes. Er wusste

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