Mystic City Bd 1 - Das gefangene Herz
Schultern. »Hier in den Horsten hat niemand je meine nackten Hände gesehen«, sagt sie. Ich höre die Nervosität in ihrer Stimme. »Wie ich dir schon gesagt habe, blockiert der Stoff die Übertragung meiner Kräfte, deshalb bleibe ich unentdeckt. Aber auch meine Eltern sind nicht registriert. Deshalb leben sie nicht im Block, sondern im Untergrund.«
Eine Waise oder eine Mystikerin mit kranken Eltern ist eine Sache. Aber eine Rebellin? Davidas Eltern bekämpfen meine – das ist nicht so leicht zu verdauen. Ich gehe zum Fenster, ziehe den Vorhang zurück und starre in die Nacht.
»Was für Kräfte besitzt du?«, frage ich.
Davida erhebt sich. »Das solltest du besser nicht wissen.«
»Wenigstens das bist du mir schuldig«, bettele ich.
Davida senkt den Blick. »Streck deine Hände aus und mach die Augen zu.«
Ich strecke ihr die Arme entgegen, mit den Handflächen nach oben, und schließe die Augen. Davidas Fingerspitzen berühren meine und meine Haut beginnt zu kribbeln. Ich spüre ein Zerren in mir, als würden mein Blut, meine Organe, ja, meine Seele durch die Poren nach außen gesaugt.
Nach einer Weile lässt das Ziehen nach und verwandelt sich in ein warmes Summen. Jedes Härchen auf meinem Körper scheint mit Energie aufgeladen und um mich herum knistert es vor Spannung.
»Öffne die Augen«, sagt Davida.
Ich gehorche und sehe mich selbst: mein welliges braunes Haar, das noch feucht ist, die braunen Augen mit den grünen Punkten auf der Iris, die Stupsnase und meine hervorstehenden Wangenknochen. Mein Kinn, meine Lippen, die makellosen Zähne. Davida sieht aus wie ich.
»Ich kann die Gestalt anderer Menschen annehmen«, erklärt sie. Nur ihre Stimme hat sie behalten. »Außerdem kann ich mich und andere mit einer Art Aura unsichtbar machen.«
Vorsichtig streiche ich ihr mit dem Finger über die Schläfe bis zum Kinn, dann am Hals entlang bis zum Schlüsselbein. Das ist mein Körper! Irre!
Draußen auf dem Balkon raschelt es. Mein Abbild verschwimmt und Davida ist binnen Sekunden wieder sie selbst. Sofort eilt sie zum Bett und zieht sich die Handschuhe über.
Ich öffne die Balkontür und trete hinaus. Niemand da.
»Falscher Alarm«, sage ich. »Hier gehen in letzter Zeit wohl zu viele Mystiker ein und aus. Ich bin wohl übernervös.«
Davida kommt mir nach und sucht den Balkon ab. Sie zeigt auf eine winzige grüne Tablette in einer Rille zwischen zwei Steinen. »Ein Mystiker nimmt kein Stic.« Davida hält die Pille ans Licht und steckt sie dann in die Tasche. »Nur jemand, der zusätzliche Kraft braucht, um auf den Balkon zu klettern. Jemand spioniert dir nach.« Sie zieht mich zurück ins Zimmer und schließt die Tür. »Öffne niemandem mehr«, schärft sie mir ein, während sie den Riegel umdreht. »Unter keinen Umständen!«
Am nächsten Morgen steht unerwartet Thomas vor der Tür und will mich zur Arbeit begleiten.
»Du musst nicht den ganzen Weg mitkommen«, sage ich, als wir das Apartmentgebäude verlassen. Ich treffe ihn zum ersten Mal seit Bennies Party. Stiggson folgt uns in ein oder zwei Metern Abstand. Klartino und mein Vater sind kurz vor uns aufgebrochen.
»Sei nicht albern. Ich habe darauf gewartet, einen Moment mit dir allein zu sein.« Thomas zaubert einen Strauß weißer Rosen hinter seinem Rücken hervor. »Schön, nicht?«
»Wusstest du, dass während der Rosenkriege in England eine weiße Rose als Warnung galt? Wer sie erhielt, musste mit seiner Ermordung rechnen. Willst du mir also etwas durch die Blume sagen?«
»Natürlich nicht«, sagt Thomas. Das Lächeln auf seinen Lippen ist verschwunden, in hohem Bogen wirft er den Strauß weg. »Was ist los mit dir?«
»Was mit mir los ist?«
Er greift nach meiner Hand, aber ich ziehe sie weg und gehe einfach voraus über eine der Brücken, die silbern in der Morgensonne funkeln. Es ist stickig und heiß. Wir schweigen, bis er mir vor der Station den Weg versperrt.
»Hier.« Er zieht ein Samtkästchen aus der Tasche. »Vielleicht hilft das gegen deine miese Laune.«
Ich nehme das Kästchen entgegen und öffne es. Darin liegt der schönste Verlobungsring der Welt. Der große Stein, ein oval geschliffener pinkfarbener Diamant, ist eingefasst von winzigen Rubinen und weißen Diamanten. Es ist, als wollte mich dieser Ring verführen.
»Es hat länger gedauert, als geplant, aber nun ist die Gravur fertig.« Er nimmt den Ring heraus und zeigt mir die Innenseite. Aria & Thomas steht da. Er steckt mir den Ring an. Ich traue
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