Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mystik des Herzens

Mystik des Herzens

Titel: Mystik des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Riedel
Vom Netzwerk:
auch Worte, Kräfte, Taten wahrnimmt, und dass dieses Licht zu tönen vermag. Hildegards Musik kommt aus diesem Licht, das zu singen, zu sprechen vermag. Es gibt ihrauch die Worte ihrer Hymnen ein. Von diesem Glanz ist sie wie von einer Hand angerührt. Es ist, als ob die sonst vorhandene Abgrenzung der Sinne in diesem Moment voneinander schwände, so dass Hören, Sehen und Fühlen eins werden. In einem ihrer Briefe schreibt sie, dass sie in ihrer Schau sich wie eine kleine Feder fühle, emporgehoben und getragen. Sie teilt auch mit, was es in ihr auslöst, wenn sie so empor getragen wird:

    »In diesem Lichte sehe ich zuweilen, aber nicht oft, ein anderes Licht, das von mir ›das lebendige Licht‹ genannt wird. Wann und wie ich es schaue, kann ich nicht sagen, aber solange ich es schaue, wird alle Traurigkeit und alle Angst von mir genommen, so dass ich mich wie ein einfaches junges Mädchen fühle und nicht wie eine alte Frau.« 37

    Wir spüren mit ihr: Wenn dieses ganz besondere und wesentliche Licht in ihr aufleuchtet, ist sie wie von innen beglückt und verjüngt und ganz von dieser Lichtenergie erfüllt. Eine ihrer Hymnen endet, wie wir es hörten, mit den Worten:

    »Du auch führest meinen Geist ins Weite,
    wehest Weisheit in ihn
    und mit der Weisheit die Freude.« 38

    Es geht etwas Befreiendes, Weites, ja Heiteres von Hildegards Geist und Wesen aus, etwas Beglückendes.

    Was ist »weibliche Spiritualität«? Vor allem anderen ist es die Spiritualität von Frauen, von Frauen in all ihrer Unterschiedlichkeit. Ob es dabei doch etwas Charakteristisches gibt, das bei vielen spirituellen Frauen wiederkehrt, können wir vielleicht herausspüren oder wenigstens präziser erfragen, nachdem wir uns zunächst einmal auf die Spiritualitäteiner Frau wie Hildegard von Bingen besinnen, sie noch einmal reflektieren. Ich versuche, noch einmal die wichtigsten Züge ihrer Spiritualität zu umreißen:
    Sie ist schöpfungsbezogen, schöpfungsbejahend und unterscheidet sich damit von jeder weltflüchtigen und dualistischen Spiritualität, wie sie in ihrer Zeit vor allem von den Katharern, den »ganz Reinen«, wie sie sich nannten, vertreten wurde.
    Sie ist lebens- und leibbejahend und unterscheidet sich damit von der asketischen Spiritualität, die den Leib durch Kasteiung und Abtötung zu überwinden suchte, eine asketische Spiritualität, die auch Hildegards Meisterin Jutta von Sponheim 39 nicht fremd war, ebenso wie Hildegards jüngerer Briefpartnerin, Elisabeth von Schönau 40 , der gegenüber Hildegard mehrfach das gute Maß, das Maßhalten und die »discretio« , die Unterscheidungsfähigkeit zwischen Zuträglichem und Unzuträglichem betont.
    Hildegards Spiritualität ist seelenbezogen und seelenbejahend und tritt auch gegenüber allem, was die psychische Seite des Menschen manipulieren und überstrapazieren könnte, sei es von Seiten des Geistes oder des Körpers her, durch übertriebene spirituelle Übungen etwa, für das gute Maß und die discretio ein. So empfängt sie ihre Schau, wie sie mehrfach betont, »einzig in meiner Seele, mit offenen leiblichen Augen, so dass ich dabei niemals die Bewusstlosigkeit einer Ekstase erleide, sondern wachend schaue ich dies, bei Tag und Nacht« 41 . Alle Exaltierheit und alles Gieren nach psychischen Ausnahmezuständen ist ihr fremd. Doch ist die Seele, die Psyche, für sie das wichtigste Empfangsorgan für Botschaften, Bilder und Erfahrungen aus der Transzendenz, die sie unbedingt ernst nimmt.
    So ist denn ihre Spiritualität erfahrungsbezogen, indem sie nichts einfach aus der Tradition übernimmt, zugleich aber auch die religiöse, die gesellschaftliche wie auch die medizinisch-therapeutische Tradition ihrer Zeit ernstnimmt, nicht einfach ablehnt, sondern alles Überlieferte ins Licht der eigenen spirituellen Erfahrung hält, es darin prüft und eventuell neu versteht. Auch spirituelle Neuerfahrungen, die noch nicht in die Tradition ihrer Zeit passen und die sie deshalb auch ängstigen, teilt sie gewissenhaft und mutig in ihren Schriften mit. Diese Erfahrung aber macht sie in ihrer Seele, in ihrer inneren Schau des »Lichtes«: »Und wie Sonne, Mond und Sterne in Wassern sich spiegeln, so leuchten mir Schriften, Reden, Kräfte und gewisse Werke der Menschen in ihm auf.« 42
    Hildegards Spiritualität gründet und vermittelt sich in bildhaft-symbolischer Schau und der entsprechenden Sprache, im Unterschied zu solcher Spiritualität, die Imagination und Bild geradezu zu

Weitere Kostenlose Bücher