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Mystik des Herzens

Mystik des Herzens

Titel: Mystik des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Riedel
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welchem Geist ich ihn durchwaltet sehe: ob es der Geist der Grünkraft ist, der aus »Sophia«, aus der »Weisheit« stammt, oder ein gleichgültiger Geist bzw. gar kein Geist, sondern der blinde Zufall. Vielleicht erst vierhundert Jahre nach Hildegard begegnet uns im 16. Jahrhundert in Jakob Böhme ein ihr verwandter Geist, dem es ebenfalls um das Geheimnis eines von göttlichem Geist durchwirkten Kosmos geht. Bei der Frage nach einer neuen Theologie der Natur, wie sie auch in der theologischen Wissenschaft heute gestellt wird, sollten wir Hildegard hören. Auch für eine neue theologische Denkweise,Philosophie und Spiritualität ist Hildegard eine Kronzeugin. Eine Vision, die sie in kraftvoll poetischer Sprache niederschreibt, sei berichtet. Deren Zentrum ist eine gewaltige kosmische Gestalt, die das Firmament wie im Schoß hält. Diese Gestalt, die von flammender Liebe erfüllt ist, hört sie sprechen:

    »Ich, die höchste und feurige Kraft, habe jedweden Funken von Leben entzündet und nichts Tödliches sprühe ich aus. Mit meinen höheren Flügeln umfliege ich den Erdkreis. Mit Weisheit habe ich das All recht geordnet. Ich, das feurige Leben göttlicher Wesenheit, zünde hin über die Schönheiten der Fluren. Ich leuchte in den Gewässern und brenne in Sonne, Mond und Sternen. Mit jedem Lufthauch wie mit unsichtbarem Leben, das alles enthält, erwecke ich alles zum Leben. So ruhe ich in aller Wirklichkeit verborgen als feurige Kraft. Alles brennt so durch mich, wie der Atem den Menschen unablässig bewegt, gleich der windbewegten Flamme im Feuer. Dies alles lebt in seiner Wesenheit und ist kein Tod darin, denn ich bin das Leben. Ich bin auch die Vernunft, die den Hauch des tönenden Wortes in sich trägt, durch das die ganze Schöpfung gemacht ist. Allem hauche ich Leben ein, so dass nichts davon in seiner Art sterblich ist. Denn ich bin das Leben.« 33

    Das Wort dieser kosmischen Gestalt hat einen machtvollen Klang! Das ist nicht der säuselnde Ton mancher Pseudo-Mystik. Wenn wir die Bilder nachvollziehen, sehen wir vor den inneren Augen einen flammenden Menschen, der wie aus Feuer besteht. Für Hildegard ist es das Liebesfeuer, die göttliche Liebe, in der alles enthalten ist. Von ihr umfangen erscheint das kosmische Rad. Es enthält auch Tierzeichen, auf den ersten Blick ähnlich wie die bekannten im Tierkreis des Horoskops, aber doch ganz eigenständig von ihr gesehen. Für Hildegard sind es bestimmteKräfte, die sie je nach ihrer Art, ob wildere oder sanftere Kräfte, bestimmten Tierarten bzw. Tierköpfen zuordnet. Letztlich sind sie alle miteinander vernetzt, das ist das Besondere an Hildegards Sicht. Von dieser Vernetzung, in die der Mensch einbezogen ist, leitet sie dessen Verantwortung für alles ab, was in seiner Reichweite geschieht, auch für die Störung im ökologischen Zusammenhang, dafür, dass die Elemente sich – und das schon in ihrer Zeit! – bei Gott beklagen müssen, dass der Mensch sie vergiftet oder durcheinander gebracht habe. Für sie trägt der Mensch Verantwortung, weil er viele Fäden dieses kosmischen Netzwerks in seiner Hand hält. Eine braune Kugel ist unsere Erde hier, der Mensch aber überragt sie in Hildegards Schau gewaltig und steht da mit einer unglaublichen Freiheit, steht in der Mitte dieses Kraftfelds und hält alles in seiner Hand, obgleich er selbst umfasst ist von dem Feuerkreis göttlicher Liebe. Unter dem Liebesfeuerkreis sieht Hildegard allerdings einen Kreis dunklen Feuers, das »Dunkelfeuer Gottes« – das für Hildegard alles das bedeutet, was der Liebe widerspricht, das Zornesfeuer Gottes und auch all die Widersprüche in der Welt –, die sie aber letztlich umfasst sieht vom Feuer göttlicher Liebe. Wie auch in einer großen menschlichen Liebe die Widersprüche, auch Hass und Zorn mit enthalten sind, so ist auch dieses kosmische Bild gedacht und gesehen. Das hat etwas Geniales an sich. Das Rot ist hier also die andere Seite der sanften Grünheit, die wiederum das Komplementäre zu dem wilden Feueratem ist. Die Kräfte des Grün und des Rot zusammen machen für Hildegard die Lebensenergie der Welt aus.
    Eine ungeheure Schau ist dies und auch eine Wortoffenbarung.

    Korrespondierend zu diesem Gottesbild versteht Hildegard die Seele des Menschen:

    »Die Seele ist wie ein Wind, der über die Kräuter weht,
    und wie ein Tau, der auf die Gräser träufelt,
    und wie die Regenluft, die wachsen macht.
    Genauso ströme der Mensch sein Wohlwollen aus auf alle, die

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