Mystik des Herzens
pointiert gegeneinanderstehen. Es darf hier keine Stimme aus dem Zusammenhang herausgerissen werden, wenn es nicht zu Missverständnissen kommen soll. Eben dies ist aber späterdurch die Inquisition geschehen. Das wäre, wie wenn man Goethe für das angeklagt hätte, was Mephisto in dessen »Faust-Drama« sagt. Was in der Anklage geschah, zeigt völlige Unkenntnis einer literarischen Form wie dieser. Es ist andererseits aber doch auch eine Kühnheit, dass Marguerite Porète ihre Gedanken in einer solchen Form vortrug. In vielen Textpassagen rührt ein unvergleichlicher Ton innerer Freiheit an:
»›Diese Seele‹, spricht die Liebe, ›achtet weder auf Schmach noch auf Ehre, weder auf Armut noch auf Reichtum, weder auf Wohlbehagen noch auf Missbehagen, weder auf Liebe noch auf Hass, weder auf die Hölle noch auf das Paradies.‹ 16
Da fährt die Vernunft dazwischen: ›Herrje, um Gottes willen, Liebe, was soll das heißen, was ihr da sagt?‹
›Was das heißen soll?‹, spricht die Liebe, ›Gewiss, das versteht nur diejenige und keine andere als die, der Gott das Verständnis gegeben hat. Und eine solche Seele, die ein Nichts geworden ist, hat dann alles und doch nichts. Will alles und will nichts. Weiß alles und weiß nichts.‹«
Man muss empfindsam sein für das Paradox der Liebe, gar der Gottesliebe, um zu verstehen oder es auch nur zu ahnen, was sie meint, zum Beispiel:
»›Aber wie kann das sein, Frau Liebe‹, spricht die Vernunft, ›dass diese Seele zu wollen vermag, wo sie doch eben sagte, sie habe keinerlei Willen mehr.‹
›Ach Vernunft‹, spricht die Liebe, ›es ist keineswegs ihr Wille, der es will, vielmehr ist es der Wille Gottes, der es in ihr will. Denn es ist nicht diese Seele, die in der Liebe verbliebe,welche ihr irgendein Verlangen, dies zu wollen, eingeben könnte. Es ist vielmehr die Liebe selbst …‹« 17
Es ist die Liebe selbst, die in ihr liebt. Anders wäre es ihr nicht möglich, in dieser Weise zu lieben. So und nicht anders argumentiert Marguerite Porète.
Man könnte auch Augustinus zitieren: »Unsere Sehnsucht nach Gott sei zugleich Gottes Sehnsucht nach uns.« Porètes Denken steht in diesem augustinischen Zusammenhang und ist doch wiederum sehr weiblich und eigengeprägt und hat die Liebe Gottes neu auszudrücken vermocht. Diese Liebe aber ist es, die sie gedrängt hat, dieses eine Buch zu schreiben. Marguerite Porète beruft sich im Unterschied zu Hildegard von Bingen weder auf Visionen noch auf Auditionen. Sie beruft sich einzig und allein auf die Liebe, die in ihr wirkt und aus ihr ausstrahlt. Auch die für die Frauen-Mystik sonst so typischen Hinweise auf weibliche Schwäche und Bescheidenheit fehlen. Marguerite Porète verzichtet auf solche Schutzmechanismen, verzichtet damit auch auf falsche Bescheidenheit und auf falsche Scham. Es kann gerade mit der Klarheit, der Transparenz ihres Stils und ihrer Ausdrucksweise zusammenhängen, so vermerkt auch Dorothee Sölle, dass sie den Kirchenbehörden auffiel und mit den Brüdern und Schwestern vom Freien Geist in Verbindung gebracht wurde, die damals der Kirche bereits ein Dorn im Auge waren. Auch sie waren eine freie Gemeinschaft durchaus ernsthafter Christen, die aber der Kirche gegenüber große Vorbehalte hatten und die von der Kirche damals schon als Ketzer angesehen wurden. So wird das Buch »Der Spiegel der einfachen Seelen«, das etwa um 1300 entstanden ist, zwischen diesem Jahr und 1306 als der Freigeisterei verdächtig verboten und schließlich in Valenciennes in Gegenwart der Autorin verbrannt. Das Buch zu besitzenoder seine Lehre zu vertreten, war fortan kirchlicherseits ein Grund zur Exkommunikation. Umso schneller verbreitete es sich. Anonym, aber damals schon in vier Volkssprachen, auch in Latein, hat es einen Siegeszug durch Europa angetreten wie kein anderer früher mystischer volkssprachlicher Text. Über die Gemeinschaften der Beginen und Begarden (das waren Männer, die in ähnlich freien Gemeinschaften lebten wie die Beginen), nicht zuletzt aber durch die Klöster der Dominikanerinnen und der Karthäuser breitete sich der Text und dessen Gedankengut über ganz Europa aus.
Dazu kam, dass Anonymität und falsche Zuschreibung an einen männlichen Autor, nämlich an den bekannten Mystiker Jan Van Ruysbroek, dafür sorgten, dass das Buch auch über Jahrhunderte hin weiter verbreitet werden konnte. Jan Van Ruysbroek hatte sich – in dem Fall kann man einmal sagen, glücklicherweise – in
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