Mystik des Herzens
einfachen Seelen«. Einiges ist allerdings über den Prozess bekannt 12 , den man ihr wegen des Buches gemacht hat – dazu später.
Marguerite Porète war Begine, lebte vermutlich in der nordfranzösischen Stadt Valencienne. Dort ist schon früh eine Beginen-Gemeinschaft 13 bezeugt, genauer sind es einige Beginengruppen, die teils zu mehreren, teils zu zweit lebten. Marguerite war eine der Frauen, die im Sinne einer spirituellen Erneuerung auf der Suche waren, nach einfachen, nicht institutionalisierten, charismatischen Lebensformen. Materiell ungesichert lebten sie von ihrer Hände Arbeit in möglichster Nähe zum Evangelium. Marguerite Porète hat vielleicht sogar einer Beginen-Gemeinschaft vorgestanden, wie man aus einigen Anmerkungen aus ihrem Buch erschließen kann. Ohne Gelübde und Ordensbindung,deshalb auch ohne kirchlichen Schutz, hielten sich diese Frauen freiwillig an die sogenannten »evangelischen Räte«: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Sie bauten eigene Lebensgemeinschaften auf, die sie auch in eigenen Wohnformen, den Beginenhöfen ausdrückten. Sie betrieben verschiedene Handwerke wie Weben, gelegentlich sogar Bierbrauen, und widmeten sich der Erziehung, der Pflege von Kranken und der Begleitung der Sterbenden und Trauernden.
Louise Gnädinger, die Übersetzerin dieses revolutionären Textes, schreibt: »Die häufige Vehemenz und Hochgemutheit dieser frommen Frauen brach sich oft Bahn im schriftlich festgehaltenen Bekenntnis. Damit ihnen in ihrem Erleben das Herz nicht zerspringe!« 14 Dies gilt vor allem auch für die bekanntesten unter den Beginen, Hadewich und Mechthild von Magdeburg. Unmittelbarkeit zu Gott ist ihre Losung, von der sie mitreißend zu sprechen wissen. So strömen ihnen viele Frauen zu. Möglicherweise ist Marguerite Porète sogar adeliger Herkunft, dafür spricht in manchem ihre Wortwahl und die Hochschätzung der adeligen Kultur, zumindest entstammt sie dem aufstrebenden Bürgertum, denn ihre Bildung ist hoch. Sie war vertraut mit der zeitgenössischen Literatur der Troubadoure, aber auch mit derjenigen der großen Theologen wie Dionysius Areopagita, Augustin und vielen anderen. Hatte sie wie manche adelige Frauen einen Hauslehrer gehabt? War sie durch die Beginen-Gemeinschaft, der selbst auch hochgebildete Frauen angehörten, geschult worden? Hatte sie eine Zeit lang eine Klosterschule besucht? Wir wissen es nicht. Wir spüren nur an ihren Texten, die sie zitiert, in Freiheit und mit großem Kenntnisreichtum, dass sie sich hier auskennt. Dabei beherrscht sie auch die Argumentationsweise der scholastischen Theologie so gut, dass man nur staunen kann.
Ihr Buch, der »miroir« , der »Spiegel«, ist sehr kunstvollund originell aufgebaut, als Gespräch zwischen verschiedenen Stimmen. 15 Es ist ein Buch, das aus Dialogen besteht, ist ein Lesedrama. Daraus hat man auch schon gemutmaßt, dass sie es selbst oder in Gemeinschaft mit anderen Beginen vorgetragen habe. Es ist auch möglich, dass sie diese Stilform wegen ihrer Lebendigkeit und der Möglichkeit, sie zu Disputen zu nutzen, bevorzugt. Die Leser werden direkt angeredet, zum Beispiel: »Ihr, die ihr dieses Buch hört …«. Diese Anrede könnte den Schluss nahe legen, dass Zuhörer anwesend waren, dass nicht nur gelesen, sondern auch vorgetragen und gehört wurde. Auch wird der Rezipient, wie schon gesagt, wie in einem Drama direkt angesprochen. Es treten folgende Personifikationen darstellend auf: Da ist vor allem die Stimme der Seele, dazu deren Gegenspielerin, die oft die Nase rümpft und sich verwundert, nämlich die Vernunft, die Ratio, raison, die im Verlauf des Gesprächs manchmal als einäugig empfunden und bezeichnet wird, gelegentlich sogar als »Esel«. Es wird deutlich, dass diese Frau kritisch gegenüber der bloßen Ratio ist, aber den Geist, den wirklichen Geist umso höher schätzt. Geist ist für sie etwas anderes als die blanke Ratio. Wie hoch Marguerite Porète den Geist schätzt, lässt sich an ihrer hohen Bildung ablesen. Lehrerin und Meisterin jedoch ist in diesem Stück die Stimme der fou amour, der verrückten, der wahnsinnigen Liebe. Diese verrückte Liebe spricht dann auch immer wieder selber zur Seele, zur Vernunft und zu einer Reihe von Nebengestalten. Auch die Stimme der Kirche kommt vor, neben verschiedenen anderen. Der » miroir« ist ein Text, aus dem man nicht einzelne Stimmen herauslösen darf, denn er besteht ja eben aus einem Disput, einer Auseinandersetzung, in der die einzelnen Stimmen
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