Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mystik des Herzens

Mystik des Herzens

Titel: Mystik des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Riedel
Vom Netzwerk:
eine Ahnung von Transzendenz vermittelt. Von hier aus leitet Dorothee Sölle auch »ein anderes Verhältnis zur Erde« ab.
    Als zweites Feld mystischer Erfahrung benennt Dorothee Sölle die Erotik, die Liebe. 7 Wer hat hier nicht schon einmal etwas erlebt, was zutiefst bewegt, ja erschüttert hat und uns über uns selbst hinaustragen konnte? Hierher gehört auch Dorothees Brief an Mr. Death. Von Marguerite Porète über D.H. Lawrence bis zu Ingeborg Bachmann reichen hier die Beispiele transzendierender Leidenschaft.
    Auch im Leiden 8 , wie wir es bei Johannes vom Kreuz bei Edith Stein miterleben, sieht Sölle einen besonderen Weg mystischer Erfahrung. Im Leiden, das in der mystischen Dimension anders angenommen wird als sonst in unserer Welt und das, indem es anders und aus anderen Händen angenommen wird als aus denen der Menschen, die uns das eine oder das andere antun, auch transformiert und verwandelt werden kann.
    Darüber hinaus nennt Sölle das Feld der Gemeinschaft 9 als möglichen Ort mystischer Erfahrung: wo man gemeinsam etwas erlebt, was einen über sich selbst als Einzelnen hinausträgt. Auch indem man zusammensteht, zusammenwirkt, zusammen Widerstand leistet, kann eine tiefe Erfahrung von dem, was über den Einzelnen hinausgeht, gemacht werden. Da gibt es heute z.B. wieder das Zusammenstehen in Menschenketten, in Lichterketten, um Umwelt und Frieden zu schützen. Auch ist an den großen Kirchentagen, an denen Dorothee Sölle regelmäßig und an prominenten Stellen teilnahm, etwas von solcher Gemeinschaft zu spüren, gerade auch in den kleinen intensiven Meditations- und Projektgruppen, die immer in solchen Großveranstaltungen enthalten und wirksam sind.
    Als letzten oder vielleicht auch ersten Ort mystischer Erfahrung nennt Dorothee Sölle die Freude. 10 Eine wirklich überschäumende Freude zu erleben, die häufig auch aus der Überraschung kommt, wenn etwas, mit dem man gar nicht mehr gerechnet hat, passiert, kann zur Basis einer transzendierenden Erfahrung werden. So sagte mir einmal eine junge Frau, die zuvor einige Fehlgeburten erlebt hatte, nach ihrer ersten Geburt: »Als ich mein erstes Kind in den Händen hielt und auf meinem Bauch liegen fühlte, war ich aufgelöst in Glückstränen und auch mit einer Dankbarkeit gegenüber Gott erfüllt, wie ich sie vorher nicht gekannt habe.« Also auch das Glück, die Freude hat mystische Qualität. Sölle geht viel lieber von der Freude aus, wenn es um den mystischen Weg einer Annäherung an Gott geht, als vom Leiden. Doch, wie gesagt, lässt sich dieser Weg auch im Leiden besonders tief erfahren.
    Natur, Liebe, Leiden, Gemeinschaft und Freude sind nach Sölle die wichtigsten Felder, denen sie Erfahrungen zuordnet, wie wir sie aus der mystischen Tradition kennen.
    In ihrem Buch über Mystik und Widerstand erläutert sie auch die mystischen Strömungen, die die drei HochreligionenChristentum, Islam und Buddhismus kennen und vermitteln. Auch im Islam gibt es Mystikerinnen, Rabia 11 zum Beispiel, die in manchen Zügen Teresa von Avila gleicht, und berühmte Mystiker wie Mansur Al Halladj 12 . Sölle greift aber auch zurück auf frühe Religionen, auf die Erfahrungen der Schamanen und Schamaninnen. 13 In diesem Suchen nach dem Geheimnis gehört für sie alles zusammen. Welche Dimensionen mystische Frömmigkeit erreichen kann und wo sie Hoffnungen für heute auch im sozialpolitischen Feld eröffnet, wird von Dorothee Sölle auch in ihrem persönlichen Engagement überzeugend aufgezeigt, in den Kapiteln über »Besitz und Besitzlosigkeit«, über »Gewalt und Gewaltlosigkeit«, über »Eine Mystik der Befreiung« schließlich. 14
    Auf den Tagungen der Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie (IGT) in Lindau konnten wir Dorothee Sölle mehrmals erleben. Zuerst nahm sie im Jahr 1989 an der Tagung »Die Suche nach Sinn heute« teil und ihr Vortrag trug damals den Titel »Die Ros’ blüht ohn’ Warum« 15 , den Satz von Angelus Silesius, der sich mit dem trifft, was Meister Eckart über ein Leben »ohne Warum« sagte, ein Leben sunder warumbe : Er lebe, weil er lebe. Sodann sprach sie bei der Tagung 1994 mit dem Thema »Lebensübergänge« zum Verhältnis von Abschiednehmen und Freiheit. 16
    Bei einer Tagung im Jahr 2000 über »Lebenswerte im Zeitalter der Globalisierung« 17 vertrat sie die Meinung, dass angesichts der Globalisierung, in deren Strom das Individuum immer austauschbarer zu sein scheint, eine Verankerung in der mystischen Erfahrung für

Weitere Kostenlose Bücher