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Mystik des Herzens

Mystik des Herzens

Titel: Mystik des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Riedel
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Stein geworden. Die Mystik hat dagegen die Menschen, die von ihr ergriffen waren, gegen mächtige, erstarrte Institutionen geholfen, und sie tut es, zugegeben manchmal auf verquere Weise, auch heute. Spirituelle Artistik, wie du das nennst, mag hereinspielen, aber das Existentielle ist doch etwas ganz Anderes. Ich bin an einem Abend zu deiner Mutter ins Zimmer getreten, ohne anzuklopfen. Da saßdie alte Frau mit gefalteten Händen ohne Handarbeit auf ihrem Stuhl. Ich weiß nicht, ob man das, was sie tat, beten oder nachsinnen nennen soll. Aber es war ein großer Friede bei ihr.

    Dorothee: Mein wichtigstes Interesse ist gerade, die Mystik zu demokratisieren. Damit meine ich, die mystische Empfindlichkeit, die in uns allen steckt, wieder zuzulassen, sie auszugraben aus dem Schutt der Trivialität. Aus der Selbsttrivialisierung, wenn du so willst. Eine ältere Frau in New York hat mir von einer Begegnung mit einem Guru erzählt. Als sie ihrem schwarzen Pfarrer darüber berichtete, stellte der nur eine Frage, und die möchte ich Dir auch stellen. Hat er euch denn nicht gesagt, das wir alle Mystiker sind?
    Fulbert: Dass wir alle Mystiker sind, dieser Satz ist ja nicht nur eine Feststellung, sondern eine Forderung ans Leben. Es soll kein Mensch nur sein Leben fristen, es soll kein Mensch sich erschöpfen im reinen Überleben. Jeder soll der Wahrheit nahe kommen können. Für jeden Menschen soll es Orte der Absichtslosigkeit geben, der Schau, der Wahrnehmung der Lebensschönheit – die fruitio, den Genuss Gottes. Wir sind alle Mystiker, der Satz enthält das Menschenrecht auf Schönheit und Schau. Gibt es so etwas wie das Menschenrecht auf die Schau Gottes? (S. 13–14)

    Dieser kleine Dialog gehört zur Einleitung in Sölles Mystik-Buch. Sie spricht dann noch aus:

    »Hingezogen hat mich zur Mystik der Traum, hier eine andere Gestalt von Spiritualität zu finden, die ich innerhalb des deutschen Protestantismus vermisste. Weniger dogmatisch, weniger verkopft und in historische Worthülsen verpackt. Weniger männerzentriert sollte das sein, wasich suchte. Es sollte auf Erfahrung bezogen sein im doppelten Sinn des Wortes, das sowohl die Entstehung wie die Lebenskonsequenzen dieser Gottesliebe meint.« 22

    Ehe ich ausdrücklich über das spreche, was Sölles Denken über Mystik auszeichnet, nämlich dass es gälte, den Traum, den Gott von uns hat, zu erfüllen, möchte ich als Konzentrationsübung, wie sie selbst es nennt, ein Gedicht vorstellen und zum Durchmeditieren einladen. Es handelt vom Meer. Vielleicht ist es möglich, das Meer in unserer Vorstellung nahe zu uns heranzuholen. Sölle nennt dieses Gedicht »Konzentrationsübung«. Ich habe sie es lesen hören, im Saal der Lindauer Inselhalle im Jahr 2000. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können:

    »Konzentrationsübung

    Wenn ich ganz still bin
    kann ich von meinem bett aus
    das meer rauschen hören
    es genügt aber nicht ganz still zu sein
    ich muß auch meine gedanken vom land abziehen

    Es genügt nicht die gedanken vom festland abzuziehen
    ich muß auch das atmen dem meer anpassen
    weil ich beim einatmen weniger höre

    Es genügt nicht den atem dem meer anzupassen
    ich muß auch händen und füßen die ungeduld nehmen

    Es genügt nicht hände und füße zu besänftigen
    ich muß auch die bilder von mir weggeben

    Es genügt nicht die bilder wegzugeben
    ich muß auch das müssen lassen

    Es genügt nicht das müssen zu lassen
    solange ich das ich nicht verlasse

    Es genügt nicht das ich zu lassen
    ich lerne das fallen

    Es genügt nicht zu fallen
    aber während ich falle
    und mir entsinke
    höre ich auf
    das meer zu suchen
    weil das meer nun
    von der küste heraufgekommen
    in mein zimmer getreten
    um mich ist

    Wenn ich ganz still bin« 23

    Dieses Gedicht ist eine Anleitung, in das tiefere Meditieren zu gelangen. Man kann durchaus vom wirklichen Meer ausgehen und diese Meditation kann an einer Küste, kann dem realen Meer gegenüber, geschehen. Das Rauschen des Meeres und des Windes kann in die Meditation hineingenommen werden und sich mit unserem Atem austauschen. Wir können uns dabei so ganz an die Meditation des Meeres verlieren, dass wir zuletzt erfüllt sind vom Meer.

    »Sie hatte große Träume und sie willigte ein in die Endlichkeit des Lebens.« So lese ich in der Todesanzeige für Dorothee Sölle, die gewiss von Fulbert Steffensky, ihrem Mann, so formuliert ist. »Große Träume« hatte sie, das erwies jedes Gespräch mit ihr, das zeigte

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