Mythor - 037 - Der Koloss von Tillorn
Diesmal blieb er auf dem Boden und verzichtete darauf, den Koloss zu erklettern.
Der Raum zwischen den Kolossen war nicht sehr groß. Es war bedrückend, eine ungeheuer schwere Last so dicht über sich zu wissen – nur gehalten von magischen Kräften und einer sehr zerbrechlich wirkenden Holzkonstruktion. Wer diesem Anblick nicht gewachsen war, konnte rasch einen Koller bekommen und verfiel möglicherweise völlig dem Wahnsinn.
Auch in diesem Koloss herrschte das gleiche schattenlose Licht, das Mythor bereits kannte. Es schien ihm ein wenig heller zu sein als im ersten Zwischenraum.
Er arbeitete sich weiter vorwärts. Sein Ziel war der Kopf dieser Statue – dort vermutete er den Zugang zum nächsten Koloss. Bald entdeckte er die Überreste derer, die es bis hierher geschafft hatten, aber nicht weitergekommen waren. Er ahnte, dass der Koloss nur eine Wegrichtung kannte - vorwärts. Der Weg zurück war für jeden Eindringling versperrt. Die meisten der Wagemutigen, die eingedrungen waren, schienen an der nächsten Sperre gescheitert zu sein – zurück hatten sie nicht gekonnt, und so waren sie in diesem Zwischenraum elend zugrunde gegangen.
Ein Skelett nach dem anderen erschien an Mythors Weg . Es war ein Weg des Grauens. Überall lagen bleiche Gebeine, fleischlose Schädel, die den neuen Wagemutigen höhnisch anzugrinsen schienen, als wollten sie die hämische Schadenfreude ausdrücken, dass auch Mythor ein Tod in Qual nicht erspart bleiben würde.
Dann entdeckte Mythor einen Haufen feinen hellen Staubes – vermutlich die Überreste eines Menschen, der vor sehr langer Zeit hier gestorben war.
Jemand hatte seinen Fuß in diesen Staub gesetzt. Der Abdruck war klar und deutlich.
»Luxon!« murmelte Mythor.
Der Abdruck schien sehr frisch zu sein, Luxon war also in der Nähe.
In diesem Augenblick sah Mythor einen Schatten huschen. Er kam von oben. Er spähte hinauf.
Vorher hatte er nichts davon bemerkt, aber jetzt erkannte er, dass er hinaufsehen konnte in das Innere des nächsten Kolosses. Und er konnte dort eine Gestalt erkennen, immer klarer und klarer.
Es war, als öffne sich für Mythor ein Fenster.
»Luxon«, murmelte Mythor wieder. Er sah den Widersacher ganz deutlich.
Luxon hatte die nächste Ebene schon erreicht. Mythor sah, wie er auf ein seltsames Gespinst einschlug, das ihm offenbar den Weg versperrte. Luxons Gesicht war von Wut und Hass gezeichnet, mit wilder Erbitterung hieb er auf das federnde Gespinst ein – offenbar ohne großen Erfolg. Mythor lächelte.
Mit brutaler Gewalt ließ sich in einem solchen Raum nichts ausrichten. Wenn es zutraf, was Mythor hoffte, dass dieser Ort fest in Händen der Lichtmacht war, gab es nichts Falscheres, was Luxon tun konnte, als mit dem Schwert dreinzuschlagen. Auf solche Mittel reagierten die Kräfte des Lichtes nicht.
Seltsam war, dass Luxon seinerseits Mythor nicht wahrzunehmen schien. Er drehte sich zwar einmal um, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, und obwohl er Mythor genau ins Gesicht blicken musste, reagierte er nicht. Es schien dies ein weiteres Geheimnis des Kolosses zu sein.
Mythor bewegte sich weiter. Er hoffte, Luxon erreichen zu können, bevor er das Gespinst zerhackte – woran Mythor allerdings zweifelte.
Wenig später war er am Kopf der Kolossalstatue angelangt.
Wie er nicht anders erwartet hatte, war der Zugang versteckt. Jeder Schritt im Inneren des Kolosses von Tillorn schien entweder mit Gefahr oder mit Rätseln gepflastert zu sein.
Mythor machte sich an die Suche. Er brauchte länger, als er angenommen hatte, um am Schädel des Kolosses jene Stelle zu entdecken, auf die man drücken musste, um den Eingang aufschwingen zu lassen. Dahinter lag ein Raum, wie ihn Mythor bereits kannte – hell und anscheinend schattenlos.
»Hallo!« wollte Mythor rufen. Es lag ihm nichts daran, über Luxon herzufallen, er suchte den offenen Kampf.
Mythor hörte nicht einmal den Klang seiner eigenen Stimme.
Dieser Bereich des Kolosses von Tillorn war ein Raum absoluter Stille. Er war kaum eingedrungen – hinter ihm schloss sich sofort wieder der Eingang –, als er nicht einmal mehr seinen eigenen Herzschlag vernehmen konnte.
Diese Tatsache mochte belanglos erscheinen, aber sie erfüllte Mythor für einen fürchterlichen Augenblick mit wahrer Todesangst. Mochte sein wacher Verstand ihm auch sagen, dass das Verlöschen des Herzschlags nur auf magische Einflüsse zurückzuführen war, dass sein Herz nach wie vor schlug, dass er nicht
Weitere Kostenlose Bücher