Mythor - 067 - Krieg der Hexen
Wahrheit liegt im Dunkel der Vergangenheit.«
»Und wer hat den Baum des Lebens gepflanzt?« erkundigte sich Mythor. »Könnte es der Lichtbote selbst gewesen sein? Oder war es die Kometenfee, von der du sprachst, und die diesem Ort ihren Namen gab.«
Arre blickte ihn mit gesenktem Kopf von unten her prüfend an.
»Du besitzt einiges Teilwissen, Mann«, sagte sie, »aber du bringst es durcheinander. Die Kometenfeen tauchten erst nach dem Erscheinen des Kometen auf, vorher konnte es sie noch gar nicht geben. Die Saat des Lebensbaums mag mit dem Kometen nach Vanga gekommen sein, so daß man sagen kann, der Lichtbote habe ihn gepflanzt. Und ich für meinen Teil sehe es so, daß von diesem mächtigen Baum Hexen angelockt wurden und sich in seinem Bann Kometenfeen nannten.«
»Das klingt so – nüchtern«, sagte Mythor leicht enttäuscht.
»Im Grunde ist das jeder Glaube, wenn man ihn des Mystischen entblättert und ihn auf das Wesentliche zurückführt«, erklärte Arre. »Dasselbe gilt auch für die Magie, die für Eingeweihte eigentlich nichts Erstaunliches oder Wunderbares an sich hat. Zauberei ist ein nüchternes Handwerk. Ich dachte, du müßtest das wissen.«
»Und wie kommst du darauf?« fragte Mythor.
»Ich sagte schon, daß du eine besondere Ausstrahlung besitzt, wie ich sie noch bei keinem anderen Mann gefunden habe«, sagte Arre. »Du hast etwas an dir… ich kann es nicht erklären.«
Mythor atmete auf. Er wollte nicht, daß die Wünschelgängerin tiefer in ihn drang und dabei vielleicht herausfand, daß er nicht aus Vanga stammte – und daß er die Prüfungen des Sohnes des Kometen abgelegt hatte.
Lankohr merkte sein Unbehagen und wechselte das Thema.
»Du sagtest, daß du die Kometenfee sichtbar machen könntest«, wandte er sich an die Wünschelgängerin. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie du das anstellen willst.«
Arre gab einen abfälligen Laut von sich.
»Was bist du für ein Aase, daß du nicht einmal von den elementarsten Gesetzen der Magie eine Ahnung hast«, sagte sie. »Du solltest wissen, daß jeder Zauber, und sei er noch so schwach, seine unauslöschlichen Spuren hinterläßt. Kleine Ursachen, große Wirkung, könnte man sagen. Wenn man einen Stein in einen See wirft, so verursacht er auf der Wasseroberfläche Wellen, die sich ausbreiten. Ein größerer Stein macht größere Wellen, löst, wenn es ein Meteor ist, sogar eine Springflut aus. Ein Sandkorn kräuselt die Wasserfläche höchstens, aber auch das Sandkorn erzielt eine Wirkung. Und mit der Zauberei ist es nicht anders. Sie hinterläßt ihre magischen Linien, die der Kundige sichtbar machen kann. Und wenn hier eine Kometenfee gewirkt hat, dann hat sie unauslöschliche Spuren hinterlassen.«
»Ich möchte sie sehen«, verlangte Mythor.
»Ich werde versuchen, sie für dich sichtbar zu machen«, sagte Arre. »Entspanne dich! Versuche, dir den Baum des Lebens in voller Größe vorzustellen. Er ragt höher als der höchste Turm, seine Krone hat eine größere Ausdehnung als die größte Wolke, die du dir denken kannst… und dann stelle dir die Gärtnerin vor, die am Fuß seines Stammes lebt…«
Mythor dachte unwillkürlich an den Riesenbaum von Leone, in den er geklettert war, um sich Stemenbogen und Mondköcher zu holen. Aber seine Vorstellungen stimmten nicht mit den auf ihn einstürmenden Bildern überein. Der Lebensbaum von Gavanque hatte keine Ähnlichkeit mit dem fünften Fixpunkt des Lichtboten von Nordsalamos. Der Baum von Gavanque war größer, und er besaß nicht unzählige Luftwurzeln, sondern nur einen einzigen Stamm. Und seine Krone wurde nach oben hin breiter und war an seinem Ende wie abgeschnitten.
Um seinen Stamm war ein steinerner Kreis errichtet worden. Mächtige Steinblöcke ragten in Abständen von drei Körperlängen in den Himmel und waren oben mit ebenso schweren Langsteinen miteinander verbunden. Steinkreis um Steinkreis reihte sich um den Riesenbaum, so viele, als sollten sie die Lebensringe des Naturmonuments darstellen.
Die aufgerichteten Langsteine waren so gegeneinander verstellt, daß man nur einige Kreise weiter sehen konnte. Aber an einer Stelle bildete sich eine Pforte, die den Blick in unendliche Ferne freigab. Man konnte bis jenseits der unzähligen Steinkreise sehen, bis zum fernen Horizont, der plötzlich näherzurücken schien, als die Sonne zur Sommerwende an dieser Stelle aufging.
Und davor erschien nun eine zierliche Gestalt mit wehendem Haar und einem Schleiergewand, in
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