Mythor - 074 - Das Fest der Masken
bei Nebel zuweilen bis an den Hafen heranwagten und festliegende Schiffe überfielen; weiter trauten sie sich meist nicht.
An den Kaimauern standen winkende und lachende Menschen, die das Anlegemanöver der Blume verfolgten. Die vierhundert Schritte oder wenig mehr durchmessende Lumenia paßte gerade so durch die Hafeneinfahrt, und Mythor bewunderte das Geschick derer, die die Schwimmende Stadt lenkten, obgleich er bisher noch nicht bemerkt hatte, von wo aus dies geschah. Obgleich die Lumenia langsam in den Hafen eintrieb, schob sie durch ihre Ausdehnung und Tiefe doch eine gewaltige Bugwelle vor sich her, die durch den Hafen vorauslief und über die Kaimauern schwappte. Lachende Menschen wurden durchnäßt, wichen aber kaum zurück. Heller Sonnenschein begleitete die Ankunft Hanquons, die dann schließlich in der Mitte des Hafenbeckens zur Ruhe kam.
Mythors Blicke wanderten über das sich ihm darbietende Bild. Drei, vier mittelgroße Schiffe, nicht halb so befestigt wie Burras furchtbares Kampfschiff Sturmbrecher, lagen vor Anker, aber es war auch jetzt, nach Hanquons Ankunft, genügend Platz für die doppelte Anzahl. Dahinter erhoben sich Lagerschuppen und kleine Hütten, dann kam Mauerwerk, das Stadt und Hafen voneinander trennte. Die Häuser der Stadt, die weiter hinten aufragten, waren mehrgeschossig und ragten teilweise hoch empor. Unwillkürlich suchte Mythor nach Ähnlichkeiten mit den großen Städten des Nordens, Sarphand oder Logghard, doch hier sah alles ganz anders aus. Die Stadt besaß ihr eigenes Gesicht, und dieses Gesicht zeugte deutlich von weiblicher Baukunst. Mythor erfaßte es nur rein gefühlsmäßig.
Unter den Zuschauern befanden sich nur wenige Männer. Die meisten, überlegte er, würden wohl ihre Arbeiten nicht im Stich lassen können. Es war Sache der Frauen, sich zu vergnügen und die Lumenia zu bejubeln.
In dieser Stadt also würden die Spiele stattfinden. Unwillkürlich warf er einen Blick zur Spitze der Lichtblume hinauf. Die riesige Knospe konnte jederzeit erblühen.
Wie es schien, stand eine längere Zeit ununterbrochenen Feierns bevor.
4.
Auf den untersten Blättern versammelten sich alle, die mit Hanquon reisten. Salmei, die Erste Bürgerin, hatte die Anweisung dazu gegeben, denn das Spiel stand bevor, und das Los würde entscheiden, wer auserwählt war.
Nach der Ankunft im Hafen hatte jeder die Möglichkeit gehabt, sich die Stadt anzusehen, mit den Bewohnerinnen zu handeln, und es waren auch viele Frauen und wenige Männer von Colonge zur Lumenia gekommen, um dieses Wunder aus direkter Nähe zu bestaunen. So war der Tag vergangen. Irgendwann gegen Abend waren Scida, Mythor und Gerrek durch den Hafen geschlendert, hatte in einer der Weinstuben Rast gemacht, dafür gesorgt, daß Gerrek nicht dem Trunk verfiel. Doch da es hier kein „Feuerwasser“ gab, war dies nicht sonderlich schwierig gewesen. Als sie nachts in die Schwimmende Stadt zurückgekehrt waren, hatte Gerrek in seinen Bauchbeutel gegriffen und zwei kostbar verzierte Weinkrüge zutage gefördert, die inzwischen in der Weinstube vermißt wurden; der Beuteldrache hatte wieder einmal seinem Drang nicht wiederstehen können und lange Finger gemacht.
„Fest steht, daß wir uns in dieser Spelunke nicht wieder sehen lassen dürfen“, meinte Scida matt. „Ich warte nur darauf, daß der Kerl beim nächsten Zusammentreffen Burra das Herzschwert stibitzt.“
„Stibitzt!“ empörte sich der Mandaler. „Ich stehle nicht! Ich bin doch kein Dieb! Ich verändere nur die Eigentumsverhältnisse eine wenig, aber ich kann doch nichts dafür!“
„Aber auch nichts dagegen, wie man sieht“, murmelte Scida. „Troll dich, du Troll, in deine Hütte!“
So war es geschehen, und jetzt, am Morgen des neuen Tages, versammelte man sich, um die Entscheidung des Loses zu hören. Irgendwo in der Menge erkannte Mythor Nucrilia, aber die fette Händlerin hielt sich geflissentlich fern; anscheinend wollte sie nicht Scidas Zorn erregen.
Die Bewohner Hanquons bildeten einen großen Kreis, in dessen Mitte die Erste Bürgerin eine Frau mit verbundenen Augen und mit blaugrauem Mantel führte; eine Hexe des vierten Steins. Mythor hatte sie bislang noch nicht gesehen, aber es war natürlich, daß es in der Schwimmenden Stadt auch Hexen gab. Vielleicht hatte man sie sogar aus Colonge geholt, um das Los auf jeden Fall unparteiisch wirken zu lassen.
Gespannt sah Mythor zu, wie die Hexe mit den verbundenen Augen eine kleine Schachtel öffnete.
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