Mythor - 074 - Das Fest der Masken
und führte zunächst einmal tiefer in die Stadt hinein. Hier und da befanden sich Gesichter an den Fenstern, die die Spieler beobachteten und sich an ihrem Anblick ergötzten. Wie viele von denen mochten noch leben, die damals den wirklichen Überfall erdulden mußten und die bestimmt andere Erinnerungen besaßen als die neuen Generationen?
Nucrilia schien sich wirklich auszukeimen. Sie huschte wie ein fetter Schatten durch die Straßen, verschwand zwischen Häusern. Und immer wieder erklangen die Zurufe der Jägerinnen, wenn sie eine neue Taktik einschlugen.
Einmal begegneten sie sich und kreuzten spielerisch die Klinge, dann lösten die beiden Gruppen sich wieder voneinander und setzten das Spiel fort.
Mythor stellte fest, daß Nucrilia ihn immer weiter zum jenseitigen Ende der großen Hafenstadt führte. Es war allmählich an der Zeit, daß sie einen Bogen schlugen, der sie allmählich wieder zurück zum Hafen führte. Sie waren nun nach seinem Empfinden weit genug durch die Stadt gekommen.
Die Verfolgerinnen waren zurückgefallen. Mythor hörte nichts mehr von ihnen. Irgendwo waren sie zurückgeblieben und hatten den Anschluß verloren. Nucrilia glitt zwischen zwei dicht beieinander stehenden Häusern hindurch in einen düsteren Hinterhof. Es gab, wie Mythor erkannte, keine Fenster an den Hauwänden. Unratkörbe standen hier, Brennholzstapel… offenbar kamen die Anwohnerinnen nur hier hinein, wenn sie Abfälle fortbringen oder irgendwelchen hier gelagerten Dinge holen wollten.
Und es gab nur diesen Zugang, durch den sie gerade gekommen waren.
„Was sollen wir hier?“ murrte Mythor. „Es hat doch keinen Sinn! Wenn die Jägerinnen uns hier erreichen, ist doch das Spiel aus! Die Jagd ist zu Ende…“
„Ja“, sagte Nucrilia kalt. All ihre Freundlichkeit war von ihr abgefallen, und sie bewegte sich so, daß sie schließlich zwischen Mythor und dem Durchgang stand. „Ja, die Jagd ist beendet. Du bist der erste. Die anderen kommen später an die Reihe. Es war ein toller Zufall, daß ausgerechnet wir beide auserwählt wurden, nicht?“
Mythors Augen wurden schmal, sein Körper spannte sich. „Was soll das bedeuten?“ fragte er. „Was hast du vor? Wer bist du?“
Ihre Hand griff zum Schwert.
„Hier, Honga“, sagte sie, „wirst du sterben.“
Die fette Händlerin wirbelte die Klinge empor und drang auf Mythor ein. Den durchzuckte es, als habe ihn ein Peitschenhieb getroffen.
So handhabte keine Frau das Schwert, die ihr Leben lang nur mit dem Handeln von Genußmitteln befaßt hatte.
Nucrilia war eine Amazone.
*
Mythor überwand seine Überraschungen schnell. Scidas Warnungen! Die alte Amazone hatte etwas geahnt. Der Gorganer riß Alton aus der Scheide und wehrte den tabigata ab. Das Gläserne Schwert sang sein klagendes Lied und fuhr leuchtend durch die Luft. Stahl klirrte auf Stahl.
„Du hast es erkannt, nicht wahr?“ stieß Nucrilia hervor und sprang hoch, als Mythor sein Schwert in einer kreisenden Bewegung dicht über den Boden führte. Er konnte sich denken, daß die fette Frau, die sich als überraschend wendig entpuppte, unter ihrer Kleidung zumindest teilweise gepanzert war. Aber der Schlag war nur eine Finte, denn aus der Bewegung heraus änderte er den Hieb in den zweiten Teil der shantiga-Bewegung um. Die Amazone, die geglaubt hatte, ihn in der hockenden Stellung mit einem Schlag von oben erfassen zu können, mußte ihr Schwert im letzten Moment herumreißen, um den halben Drachenschlag zu parieren. Beide Schwerter berührten den Boden. Funken stoben empor, als Metall auf Stein traf.
„Ich bin eine Amazone! Niez schickte mich… dies ist dein Ende!“
Mythor sprang zurück und versuchte, eine neue Ausgangsstellung zu finden. Nucrilia lachte.
„Du willst mich töten?“ fragte er.
„Töten oder fangen… auf deinen Kopf ist ein Preis ausgesetzt. Aber du wirst dich kaum lebend fangen lassen, Männlein, nicht wahr? Du bist sehr stolz.“
Alton schmetterte gegen ihr Schwert. Mit einigen raschen Schlägen trieb er sie zurück. Dann aber fing sie seinen Angriff wieder auf. „Du kämpfst erstaunlich gut! Wer hat dich geschult?“
Er antwortete nicht, sondern versuchte sie zu entwaffnen, aber sie beherrschte ihr makaberes Handwerk und nahm ihm jede Gelegenheit. Er fragte sich, warum sie ihn nicht ausschließlich lebend wollte. Hatte Burra ihre Ansicht geändert? Das konnte nicht sein. Burra wußte möglicherweise nichts davon, was hier geschah. Die Grenzhexe Niez arbeitete auf
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