Mythor - 104 - Inscribe die Löwin
hätte Mythor es nicht treffen können. Die Haryie nahm die Federn, die Mythor ihr bereitwillig entgegenstreckte, und schnupperte ausgiebig daran.
»Du hast die Wahrheit gesprochen«, sagte die Haryie und machte eine beschwichtigende Geste. »Sei uns willkommen – du und deine Freunde.«
»Das sind diese dort«, sagte Mythor und deutete auf die Phanus.
»Auch sie sind uns willkommen – uns und unserem ganzen Stamm. Wir laden euch ein, uns dort zu besuchen. Möglichst bald.«
Die Einladung kam Mythor gerade zur rechten Zeit. Vielleicht ließ sich in Zusammenarbeit mit den freundlichen Haryien an der Phanus all das ausbessern, was dringend einer Reparatur bedurfte.
Auf der anderen Seite mußte sich Mythor daran erinnern, daß er in Siebentags Rückenbild auch gesehen hatte, daß Inscribe die Tanzende von Haryien förmlich verehrt wurde. Ob das die Vogelfrauen des Nesfar-Stammes waren, konnte Mythor nicht wissen – aber er war sich darüber im klaren, daß nach allen Regeln der Gastfreundschaft sein Wunsch, Inscribe zu befragen, arg gehemmt wurde. Als Gast der Haryien konnte er unmöglich Inscribe hart anfassen oder gar mit ihr kämpfen, wenn sie so etwas wie die Beschützerin der Nesfar-Haryien darstellte. Und kam es gar zum Kampf mit dem Löwenweib, hatte Mythor als Gast der Nesfar-Frauen die geheiligten Regeln so rücksichtslos gebrochen, daß sein Leben und das der anderen kein noch so kleines Krümelchen Salz mehr wert war.
Dies alles galt es zu bedenken.
»Es wird uns freuen, eure Gäste zu sein«, begann Mythor freundlich. Damit war der Beginn der Gastfreundschaft zunächst einmal herausgezögert. »Vorher aber haben wir noch einige Dinge zu erledigen im Land Lorumee.«
»Können wir dir behilflich sein?«
Das war ein lockendes Angebot. Die Gruppe hatte sich während der Unterhaltung allmählich an Bord der Phanus begeben – nun waren die Haryien die Gäste der Besatzung, und das verpflichtete auch sie ein wenig, selbst wenn sie nicht in aller Form eingeladen worden waren.
Mythor traf eine Entscheidung. Er holte das Teilstück des DRAGOMAE, das in seinem Besitz war. Siebentags Körperbild hatte Mythor gezeigt, daß offenbar auch Inscribe einen solchen Kristall besaß.
»Dies ist etwas, was ich suche«, sagte Mythor.
Die Haryien betrachteten den Kristall eingehend, dann gaben sie ihn Mythor zurück.
»Es sieht einem Ding ähnlich, das wir Inscribe einmal verehrt haben«, sagte die Anführerin der Haryien. »Wir wußten nicht, daß du es benötigst, und jetzt tut es uns leid, daß wir es dir nicht übergeben können.«
»Nun«, meinte Mythor gedehnt.
»Aber vielleicht…«, sagte eine der Haryien nachdenklich. »Wenn wir es vermögen, werden wir dir nach Kräften helfen, dieses Teil in deinen Besitz zu bringen.«
»Das freut mich«, sagte Mythor. Das Entgegenkommen der Haryien war fast schon unheimlich, aber Mythor hatte Vertrauen zu den gefiederten Weibern. »Woher…«
»Du willst wissen, woher wir den Kristall haben?« sagte die Sprecherin hastig. »Das können wir dir nicht verraten, versteh das bitte.«
»Ich werde euch nicht bedrängen«, gelobte Mythor.
»Du wirst unser Gast sein?«, fragte die Sprecherin.
»Sobald wir erledigt haben, was es zu tun gibt«, antwortete Mythor vieldeutig.
»Erlaube uns, dich zu verlassen – wir wollen unseren Stock aufsuchen«, sagte die Anführerin der Haryienen. »Du wirst es nicht bereuen, unsere Einladung angenommen zu haben.«
*
»Eine Falle«, sagte Tertish knapp. »Diese Flatterweiber wollen uns hereinlegen, und dich ganz besonders, Mythor!«
»Ich traue ihnen«, antwortete der Mann von Gorgan. Er hatte die Federn wieder an Altons Scheide befestigt.
»Erwartest du wirklich, daß diese drei Federn soviel bewirken?« fragte Tertish.
»Ich glaube dem, was Lylsae mir gesagt hat«, meinte Mythor. »Im übrigen haben wir ja bereits sehen können, was das Zeichen auszurichten vermag.«
Tertish zog die Nase kraus.
»Ich weiß nicht recht«, sagte sie skeptisch. »Vielleicht hoffen sie nur, uns arglos ins Netz locken zu können – wenn wir so dumm sind, ihnen zu folgen, ist es unsere Schuld.«
Mythor sah den Pfader an.
»Robbin, was ist deine Meinung?«
»Auch ich traue den freundlichen Worten nicht über den Weg«, sagte der Pfader nach einigem Nachdenken. »Das Leben in der Schattenzone lehrt einen, sehr mißtrauisch zu sein – überall können Gefahren lauern. Andererseits – die Gastfreundschaft der Nesfar-Haryien ist uns
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