Mythos Ueberfremdung
von Forschungsarbeiten zeigt – neben der Tatsache, dass die Probleme der Isolation und der wirtschaftlichen Exklusion nicht nur Muslime betreffen –, dass muslimische Auswanderer aus ein- und demselben Herkunftsland ganz unterschiedliche Schicksale haben, je nachdem, für wel ches Ziel sie sich entschieden haben. An manchen Orten werden sie innerhalb einer Generation vollständig integriert, an anderen wiederum scheinen sie selbst und ihre Kinder in den Randbereichen hängenzubleiben.
Das ist sehr wichtig, denn es bedeutet letztendlich, dass sich die Einwanderer nicht bewusst oder aus religiösen oder ideologischen Gründen von der einheimischen Gesellschaft isolieren, sondern eher deshalb, weil einige Aufnahmeländer es versäumen, die nötigen Mittel für den kul turellen Anpassungsprozess und die Einbindung bereit zustellen.
Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jacob Vigdor analysierte die Integration von Muslimen in 9 Ländern und erstellte einen Index – ermittelt anhand der Beschäftigungsquoten von Männern und Frauen und über den Anteil der Haus- und Wohnungsbesitzer und der Eingebürgerten –, mit dem er messen wollte, inwieweit Einwanderer aus mus limischen Ländern zu einem Teil ihrer Aufnahmeländer geworden sind. Kanadas »Assimilationsindex« erreicht mit 77 Punkten auf einer 100er-Skala den höchsten Wert und sehr hohe Ergebnisse in allen Bereichen – mit einer Ausnahme, der Erwerbstätigkeit von Frauen. Die Vereinigten Staaten kamen Kanada mit einem Gesamtergebnis im 60er-Bereich nahe, aber die Muslime in den europäischen Län dern waren weit abgeschlagen, mit Assimilationsraten von 38 (Spanien) bis 11 (Italien). Vigdor stellte fest, dass diese Werte nicht von kulturellen Faktoren so stark gesenkt wurden, sondern von sehr schlechten Quoten bei Haus- und Wohnungsbesitz und Einbürgerung. Der Weg zur vollständigen Einbürgerung und zum Immobilienbesitz wird noch in zu vielen europäischen Ländern von restriktiven Gesetzen blockiert – und das mag der Grund sein, nicht die Religion oder bewusste Distanzierung, der viele muslimische Einwanderer von einer vollständigen Teilhabe am Wirtschaftsleben abhält. 25
Wenn die muslimischen Einwanderer es mit Hindernissen zu tun bekommen, die sie nicht überwinden können, gilt das für ihre im Aufnahmeland geborenen Kinder erst recht. Diese zweite Generation neigt zur Entwicklung von Werten und Verhaltensweisen, die der einheimischen Bevölkerung sehr nahe kommen. Aber ihre Fähigkeit zur vollständigen Integration hängt sehr stark vom Bildungssystem ab, und hier kann es zu Problemen kommen.
Muslime in Nordamerika sind im Bildungsbereich erfolgreich, sie erreichen bei ihren Abschlüssen im Durchschnitt ein Niveau, das zu den besten unter allen ethnischen Gruppen zählt. In den Vereinigten Staaten haben 40 Prozent aller erwachsenen Muslime einen Collegeabschluss oder eine noch höhere Qualifikation, was sie nach den Juden (61 Prozent) zur religiösen Gruppe mit dem zweithöchsten Bildungsniveau macht, weit vor dem amerikanischen Durchschnittswert (29 Prozent). 26
In den meisten europäischen Ländern sieht es allerdings anders aus, was teilweise damit zusammenhängt, dass Muslime in den Aufnahmeländern meist die Lücken auf dem Markt für ungelernte Arbeitskräfte schließen sollten und deshalb ihr Berufsleben mit größeren Bildungsmängeln beginnen. Europäische Schulsysteme sind außerdem auf die bedürfnisgerechte Betreuung von Einwandererkindern schlecht vorbereitet. Migrantenkinder haben in vielen europäischen Ländern viel höhere Aussteigerquoten an weiterführenden Schulen, und sie werden in viel größerer Zahl in Richtung berufsbildende Schulen gelenkt als in allgemeinbildende Schulzweige, die zum Hochschulstudium führen. 27 Kinder türkischer Herkunft werden in Deutschland mehr als doppelt so häufig an die Hauptschule empfohlen wie deutsche Kinder. Kaum mehr als 10 Prozent von ihnen werden am Gymnasium aufgenommen. Türkische Schüler verlassen die Schule deshalb mehr als doppelt so häufig ohne Abschluss wie deutsche Schüler. 28
Erfolg oder Misserfolg der Schüler wurde jedoch nicht von ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe bestimmt, sondern eher von der Schule oder dem Bildungssystem, mit der oder dem sie es zu tun bekamen. Aus ein und demselben Land stammende Einwanderer erzielen im Bildungssystem eines bestimmten Landes außerordentlich gute Ergebnisse, während sie im System eines anderen
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