Mythos Ueberfremdung
Landes früh scheitern. »Der Bildungsgrad von Schülern aus Migrantenfamilien ist vergleichsweise hoch in Ländern mit einem gut ausgebauten System der Vorschulerziehung und einer eher späten Zuweisung der Schüler zu verschiedenen Zweigen (Eignungsgruppen) des Bildungssystems«, heißt es in einer diesem Problem gewidmeten Studie. »Hochgradig selektive Bildungssysteme arbeiten auch zum Nachteil von Migrantenkindern und -jugendlichen.« Mit anderen Worten: Wenn Schulstrukturen und Lehrpläne im Wissen um die gesellschaftliche Vielfalt und ganz unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten entwickelt werden – was in Großbritannien, Kanada und den Vereinigten Staaten sehr oft der Fall, in Kontinentaleuropa aber immer noch selten ist –, erreichen die Kinder muslimischer Einwanderer ein Bildungsniveau, das dem der Gesamtbevölkerung nahe kommt. 29
Der entscheidende Punkt ist, dass diese Kinder oft weder unter dem Islam noch unter ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder gar unter dem Einwandererstatus leiden, sondern eher unter dem geringen Familieneinkommen. Kinder muslimischer Einwanderer erzielen in der Schule und am Arbeitsplatz dieselben enttäuschenden Resultate wie die Kinder einheimischer Eltern aus vergleichbaren Einkommensgruppen; viele von ihnen schneiden sogar etwas besser ab. In einer französischen Untersuchung kann man nachlesen: »Einwandererkinder erzielen in der Schule genauso gute oder noch bessere Ergebnisse als die Kinder französischer Eltern, die derselben sozioökonomischen Schicht angehören.« 30 Leider leben zwei Drittel der Einwandererkinder in Frankreich in Familien mit Arbeitereinkommen oder noch geringeren Einkünften.
In jedem europäischen Land scheinen Kinder muslimischer Einwanderer im schulischen Vergleich typischerweise schlechter abzuschneiden. Vergleicht man sie jedoch mit den Kindern aus Familien derselben Niedriglohngruppen, wird der Abstand oft kleiner oder verschwindet völlig. 31 In Großbritannien zeigt sich sogar eine gegenläufige Entwicklung: Schüler mit aus Pakistan oder Bangladesch stammenden Eltern schneiden im direkten Leistungsvergleich der Empfän ger kostenloser Schulmahlzeiten (ein Status, der als Indikator für Armut gilt) deutlich besser ab als ihre weißen britischen Mitschüler. In den Sozialwohnungssiedlungen im Osten Londons sind es oft die Kinder muslimischer Einwanderer (und hier besonders die Mädchen), die es am häufigsten auf die Universität schaffen, einen Arbeitsplatz ergattern und aus dem Viertel wegziehen, während ihre Nachbarn englischer Herkunft dableiben. 32 Statistiken zeigen, dass frische Zuwanderer aus muslimischen Ländern eine deutlich schlechtere Schulbildung erhalten (oder erhalten haben) als ihre Mitbürger in den Aufnahmeländern, doch ihre Kinder sorgen dafür, dass sich der Abstand verringert. In Frankreich geborene muslimische Kinder kommen etwa auf dieselbe Anzahl von Schuljahren wie die Kinder französischer Herkunft. Die Schulzeit in Deutschland geborener Muslime ist im Durchschnitt nur um 1,9 Jahre kürzer, in Großbritannien geborene Muslime gehen dagegen im Mittel sogar ein Jahr länger in die Schule als »weiße« britische Kinder. 33 Das sind allerdings nur Durchschnittswerte, hinter denen sich in allen Gruppen große Diskrepanzen verbergen können.
Das lässt sich drei verschiedenen Faktoren zuschreiben: dem nahezu universellen Streben der Einwanderer nach Erfolg und einem besseren Leben für die eigenen Kinder; der mangelnden Fähigkeit der sehr armen Einwandererfamilien, sich mit dem Schulsystem auseinanderzusetzen und zu verstehen, wie das Bildungswesen im Westen funktioniert; und einem Schulsystem, das dazu neigt, die Kinder armer Einwanderer in dieselben von geringer Qualifikation und niedrigem Bildungsstand geprägten Lebenswege abzuschieben, die schon die Eltern durchlaufen haben. Heraus kommt dabei, dass die Kinder muslimischer Einwanderer in der Schule entweder brillieren oder scheitern, aber nur selten im Durchschnitt landen.
In den Niederlanden zum Beispiel scheinen sich die Kinder der zweiten Generation in zwei Gruppen aufzuteilen. Diejenigen, die an der weiterführenden Schule scheitern und ohne Abschluss bleiben (ihr Anteil ist mehr als doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt), enden oft in der Arbeitslosigkeit und sind dann von Transferleistungen abhängig. Aus der kleineren Gruppe, die in der Schule verbleibt, schaffen mehr als 40 Prozent einen höheren Bildungsabschluss (allerdings häufiger an
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