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Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)

Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)

Titel: Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Peters
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von Fettleibigkeit deutlich senkt. Armut macht dick, weil arm zu sein hohen psychosozialen Stress bedeutet. In einer armen Umgebung leben zu müssen und selber nur ein geringes Einkommen zu haben, bedeutet Geldknappheit, schlechte Wohnverhältnisse, Angst vor Straßenkriminalität, Resignation und Ausweglosigkeit. Von diesen Umständen innerlich Abstand zu nehmen, ist fast unmöglich. Und einem Menschen mit Gewichtsproblemen in so einer Situation zu einer Diät zu raten, ist bestenfalls eine – eigentlich zynische – Behandlung eines Symptoms, aber auf keinen Fall der Ursache.
    Und wir müssen nicht unbedingt auf die Verhältnisse in den USA schauen, um zu erkennen, wie dringlich das Problem ist. In Picketts und Wilkinsons Buch belegt Deutschland auf der »Ungleichheitsskala« noch einen mittleren Platz. Die gesellschaftliche Entwicklung ist aber auch bei uns in dieser Hinsicht negativ: Aus dem aktuellen Armutsbericht der Bundesregierung geht hervor, dass 2 008 in Deutschland die untere Hälfte der Haushalte (das heißt, die ärmeren) nur über 1 Prozent vom Nettogesamtvermögen der Deutschen verfügten. Zehn Jahre vorher waren es immerhin noch 4 Prozent gewesen. Die 10 Prozent der reichsten Haushalte in der Bevölkerung hingegen konnten ihr Vermögen in den vergangenen zwei Jahrzehnten verdoppeln. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Hier wurde Vermögen von den Armen zu den Reichen umgeschichtet.
    Im 17 . Jahrhundert schrieb der englische Dichter John Donne seine wohl berühmtesten Worte: »Niemand ist eine Insel, sich selbst genug.« Die Annahme, dass wir als Individuen ungebunden leben, uns frei entscheiden und uns unabhängig von anderen Menschen machen können, ist eine Illusion. Das ist uns in vielen Lebensbereichen – zum Beispiel in der Arbeitswelt, im Familienleben, dem Freundeskreis – durchaus bewusst. Niemand würde zum Beispiel auf die Idee kommen, dass ein schlechtes Betriebsklima absolut keinen Einfluss auf das persönliche Befinden eines Mitarbeiters hat. Oder Konflikte in der Familie: Jeder kennt solche Situationen und weiß, wie schwierig der Umgang damit sein kann und dass nicht selten aus solchen Konflikten familiäre Zerwürfnisse entstehen, unter denen die Betroffenen manchmal jahrelang leiden.
    Nur beim Thema Körpergewicht wird so getan, als seien dicke Menschen doch so etwas wie Inseln. Als seien sie allein für ihren Körperumfang verantwortlich: Ihre Ernährungsgewohnheiten, ihre mangelnde Disziplin, Diäten durchzuhalten, wird starkgewichtigen Menschen indirekt oder auch direkt zum Vorwurf gemacht – von Partnern, von der Familie, von Freunden, Ärzten und der schlankheitsorientierten Gesellschaft im Allgemeinen. Doch das ist nicht nur ungerecht, sondern auch falsch. Niemand ist eine Insel. Oder in diesem Falle anders formuliert: »Dick wird keiner von alleine.«
    Wilkinsons und Picketts Buch wurde und wird weltweit sehr kontrovers diskutiert. Kein Wunder, denn die Erkenntnisse aus den von ihnen ausgewerteten Statistiken rütteln an den Grundfesten moderner Industriegesellschaften. Die Basis ihrer Forschung sind öffentlich zugängliche Daten, die die statistischen Ämter der jeweiligen Länder selbst erhoben haben. Was die beiden Epidemiologen herausgelesen haben – dass offenbar zwischen der ungleichen Verteilung von Einkommen und der Fettleibigkeit der Menschen ein enger Zusammenhang besteht, weil durch Ungleichheit der psychosoziale Stress in großen Teilen der Bevölkerung stetig zunimmt –, ist ein neuer, um nicht zu sagen revolutionärer Ansatz für die wissenschaftliche Betrachtung der Fettleibigkeit. Denn wenn 50 Prozent der Menschen in einem Land um 1 Prozent der dort vorhandenen Güter konkurrieren, ist das für sie extremer Stress. Je stärker ein Mensch sozialen Stressoren ausgesetzt ist, desto größer ist die Gefahr, dass sein Stresssystem überbeansprucht wird. Und solche Überbeanspruchung führt zu Gewichtszunahme. Wenn sich diese wissenschaftliche Annahme erhärten lässt – und dafür spricht vieles –, müsste man die epidemieartige Ausbreitung von Fettleibigkeit neu betrachten und bekämpfen. Nämlich nicht als ein ursächlich gesundheitliches, sondern als ein gesellschaftliches Problem. Und Fettleibigkeit ist – wie Wilkinson und Pickett gezeigt haben – nur eines von acht ernsten Problemen (siehe Liste oben unter »Warum sind so viele Amerikaner dick? Oder was Ungerechtigkeit mit dem Körpergewicht zu tun hat« ): Dementsprechend sind Richter, Lehrer,

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