Mythos Übergewicht: Warum dicke Menschen länger leben. Was das Gewicht mit Stress zu tun hat - überraschende Erkenntnisse der Hirnforschung (German Edition)
Arteriensystem zu den Skelettmuskeln weiterpumpen.
Anders ist es beim Bauchfett: Im Hungerzustand und im psychosozialen Stress gelangen – durch den Einfluss der Stresshormone Cortisol und Adrenalin – energiereiche Fettsäuren in großen Mengen aus dem Bauchfett über das Pfortadervenensystem zunächst zur Leber. Hier werden sie in Ketonkörper umgewandelt, das sind Stoffwechselprodukte, die das Gehirn zusätzlich oder alternativ zur Glukose gebrauchen kann.
Bauchfett ist also quasi vom Körperfett abgekoppelt. Wie das funktioniert und wie es überhaupt zur Auffüllung der Bauchfett-Depots kommt, wurde kürzlich in einer eleganten Experimentenserie aufgezeigt. Chronischer Stress (und wie wir uns erinnern, sind erhöhte Cortisolwerte dafür ein deutlicher Hinweis) setzt über den Symphatikus-Nerv einen Botenstoff-Fluss vom Gehirn zum Bauchfettgewebe in Gang. Das erhöhte Cortisol sorgt gleichzeitig dafür, dass an diesen Nervenendigungen zu den Bauchfettzellen ein bestimmter Eiweißbotenstoff (das Neuropeptid Y, abgekürzt NPY ) vermehrt freigesetzt wird. Der Rest ist ganz simpel: Je mehr dieser NPY -Botenstoff auf die Fettzellen einwirkt, desto mehr Fettzellen entstehen im Bauchgewebe – und das ist durchaus vom Gehirn gewollt: Bauchfettgewebe wachsen zu lassen, ist eine wesentliche Strategie des gestressten Gehirns, seine eigene Energieversorgung abzusichern. Ein stoffwechselphysiologischer Trick, der sicherstellt, dass die gespeicherte Energie nicht von den Muskeln »geräubert« werden kann: Die Energiereserven des Bauchfetts bestehen wie gesagt im Wesentlichen aus freien Fettsäuren, die bei Bedarf in der Leber zu Ketonkörpern umgewandelt werden. Das ist dann eine Alternative zur körpereigenen Glukose, die somit dem Gehirn zur Verfügung steht.
Kommen wir noch einmal darauf zurück, dass hohe Belastungen des Stresssystems mit Energieversorungsengpässen des Gehirns eng verknüpft sind. Denn ein gestresstes Gehirn hat einen höheren Energiebedarf als ein nicht gestresstes. Dabei geht es nicht darum, wie stressig die Lebensumstände eines Menschen von außen betrachtet sein mögen. Es zählt einzig und allein, wie das Stresssystem eines Menschen reagiert – fährt es dauerhaft hoch, oder bleibt es in seiner Ruhelage? Das Stressbild, das in unserer Gesellschaft gemeinhin vorherrscht, also die Annahme, dass Mehrfachbelastungen oder beispielsweise ein hohes Maß an Verantwortung zwangsläufig zu Stress führen, ist medizinisch so nicht haltbar. Es gibt durchaus Menschen, die unter hohen beruflichen Anforderungen völlig unauffällige Cortisolwerte aufweisen. Andererseits weiß man in der Stressforschung schon seit Langem, dass Unterforderung oder eintönige Tätigkeiten hohe Risiken bergen und das Stresssystem mit Überlastung reagiert. Letztlich kommt es nur darauf an, wie gut oder schlecht sich das Stresssystem in unserem Inneren auf die Anforderungen unseres Lebens einstellt.
Mythos Übergewicht – warum die Waage als Indikator eines erhöhten Herz-Kreislauf-Risikos ausgedient hat
Es gibt also verschiedene Arten, Fettdepots anzulegen. Aber was ist dann »Übergewicht«? Gibt es so etwas überhaupt? Und: Wann ist ein Mensch schon dick oder noch schlank? Gerade diese einfach anmutende Frage hat es in sich. Bis vor wenigen Jahren berechnete man in der Medizin noch Idealgewicht, Normalgewicht und Übergewicht. Diese Formel war aus verschiedenen Gründen wissenschaftlich nicht haltbar und wurde durch den Body Mass Index ersetzt. Aber auch hier hält man bis heute an Einteilungen wie Normalgewicht, Untergewicht und die verschiedenen Stufen des Übergewichts fest. Ein BMI von 25 gilt dabei als Demarkationslinie zwischen normalem – also gesundem – und überdurchschnittlichem – also ungesundem – Gewicht. Genau an dieser Stelle kommt es allerdings zu gravierenden Denkfehlern: Erstens, dass es ein einziges Normgewicht gibt, das auf jeden Menschen gleichermaßen anwendbar ist. Zweitens die daraus resultierende Annahme, dass ein BMI von über 25 den Menschen krank macht. Legen wir bei der Beurteilung des Körpergewichts die Erscheinungsformen der Stresstypen A und B zugrunde, ergibt sich ein ganz anderes, überraschendes Bild.
Die Körpermasse eines Menschen, der als Typ B in eine stressvolle Umgebung gerät, nimmt im Laufe des Lebens zu. Wie wir bereits wissen, ist die dicke Erscheinungsform dieses Menschen Ausdruck einer Strategie, die Energieversorgung des Gehirns sicherzustellen und zugleich das
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