Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mythos

Mythos

Titel: Mythos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C Schulte von Drach
Vom Netzwerk:
dem Kragen und hielt sie ausgebreitet vor seinem Gesicht in die Luft. Dann blies er sie an, sodass sie sich hob und er unter dem Papier hindurch auf die Journalistin schaute. „Die Naturwissenschaft wird niemals in der Lage sein, den Vorhang vor dem Geheimnis der Schöpfung zu lüften“, sagte er. „Für den Wissenschaftler, der im Glauben an die Macht der Vernunft gelebt hat, endet die Geschichte wie ein schlechter Traum. Er hat die Berge der Unwissenheit erklommen; er ist dabei, den höchsten Gipfel zu bezwingen; und als er sich über die letzte Felskante emporzieht, wird er von einer Schar Theologen begrüßt, die schon seit Jahrhunderten dort sitzen.“ Der Kardinal neigte den Kopf und lächelte. „Das hat der Astronom Robert Jastrow mal gesagt. Ein Naturwissenschaftler.“
    „Und diese Theologen haben selbst keine Ahnung, wie sie dort hinaufgekommen sind“, entgegnete MacLoughlin. „Sie sind hinaufgeschwebt, während sie darüber diskutiert haben, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen.“
    Sie seufzte. „Für mich ist das eine von diesen wohlklingenden Behauptungen, die nur aufgrund ihrer Ästhetik ständig wiederholt werden, und nicht etwa weil sie fundiert wären.“ Die Journalistin legte Merdrignac die Hand auf den Arm. „Das Publikum lacht, der Sprecher hat einen billigen Punkt gemacht. Kommen Sie, das ist doch unter unserem Niveau.“
    Man wusste dank der Physik so verrückte Sachen wie die, dass Licht mal Teilchen, mal Welle war. Dass das Universum offenbar unendlich und in einem Urknall entstanden war. Die Gläubigen dagegen beriefen sich auf eine Ahnung von einem überirdischen Reich Gottes. Weil es die Bibel, den Koran, Jesu angebliche Auferstehung und den Besuch des Erzengels Gabriel bei Mohammed gab.
    Merdrignac räusperte sich. „Wieso schaffen es die Wissenschaftler dann nicht zu beweisen, dass es keine Wunder gibt? Dass es Gott nicht gibt?“
    „Beweisen Sie mir, dass Gott kein fliegendes Spaghettimonster ist. Sie wissen genau, dass man die Nichtexistenz von Etwas nicht beweisen kann. Aber man kann so viel Zweifel ins Spiel bringen, dass die Existenz von Gott und Wundern unwahrscheinlicher erscheint als ihre Nichtexistenz.“
    „Vielleicht ist mein Gott ein fliegendes Spaghettimonster.“ Merdrignac legte den Kopf schief. „Uns wurde aber überliefert, dass er uns nach seinem Abbild geschaffen hat. Das macht ein Spaghettimonster unwahrscheinlich.“
    „Das Verhalten Ihres Gottes erscheint mir allerdings tatsächlich ziemlich menschlich“, stimmte MacLoughlin ihm zu. „Diese Eifersucht, diese Rachgier. Deshalb denke ich auch, dass es umgekehrt ist: Gott ist ein Bild, eine Vereinigung von Wunsch- und Schreckensvorstellungen.“
    MacLoughlin schob die Reste ihres Fisches auf dem Teller hin und her. „Ich bitte Sie, er soll den Kosmos in seiner unfassbaren Großartigkeit geschaffen haben, um sich dann über Hirtennomaden aufzuregen, die von den Hochkulturen der Antike herumgeschubst wurden?“
    Monseñor Ampuero hatte begonnen, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. Als er sich dessen bewusst wurde, hörte er auf und räusperte sich. MacLoughlin wartete einen Augenblick, aber der Monseñor schwieg.
    MacLoughlin beschloss, dass es Zeit war, weniger philosophisch zu sein. Mal sehen, wie die Herren auf eine Spitze reagieren würden, die auf den Kern des ciscn Kern hristlichen Glaubens gerichtet war.
    „Wundern Sie sich nicht darüber, dass Gott sein auserwähltes Volk, die Israeliten, Tausende von Jahren im Unklaren darüber gelassen hat, dass sie seit Adams Sündenfall von Geburt an verdammt sind?“ MacLoughlin hob die Schultern. Ihr Blick blieb an d’Albret hängen. „Wieso musste da erst Kirchenvater Augustinus kommen, um das zu erklären?“
    „Sie spielen auf die Erbsünde an“, sagte d’Albret. „Worauf wollen Sie denn eigentlich hinaus?“
    Die Journalistin faltete die Hände und schaute den jungen Priester an. „Ich bin total verwirrt. Ich werde versuchen, Ihnen das zu erklären.“
    Etwa 400 Jahre nach Christus hatte sich der Kirchenvater Augustinus mit den Briefen des Apostels Paulus beschäftigt. In einem der Briefe hatte der erklärt, dass Gott über die Kinder von Isaak und Rebekka schon vor deren Geburt gesagt hatte: „Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehasst.“ Also, so schloss der Apostel Paulus, hing Gottes Urteil nicht von den Werken der Gläubigen ab. Es gab vielmehr gar keine Möglichkeit, sich die Liebe oder den Hass Gottes zu verdienen, wenn

Weitere Kostenlose Bücher