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Nach all den Jahrmilliarden

Nach all den Jahrmilliarden

Titel: Nach all den Jahrmilliarden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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so daß sie mit ihrer ganzen Kraft von fünfzig Tonnen zog, aber das Tauziehen blieb unentschieden. „Was machen wir“, fragte Steen Steen, „wenn die Winde die Fähre der Tür entgegenzieht anstatt die Tür der Fähre?“ Und es war ein guter Hinweis, denn die Zugkraft, die die Winde jetzt ausübte, reichte dazu aus, die Masse der Fähre selbst zu bewegen und sie nach vorn zu kippen.
    Die Tür gab zuerst nach.
    Sie öffnete sich etwa einen Zentimeter breit an der Angelseite. Ludwig veränderte die Justierung der Winde. Widerstrebend glitt die Tür einen weiteren Zentimeter auf. Dann noch einen. Und noch einen.
    Was Ludwig – und uns anderen ebenfalls – Sorgen bereitete, war folgendes: Was geschah, wenn die Tür abrupt nachgab und mit einem Ruck aus der Fassung flog? Und um die Spannung noch zu steigern: Es war sehr gut möglich, daß die Winde die Tür so schnell der Fähre entgegenzog, daß eine Kollision unvermeidlich war und die Fähre beschädigt wurde. Wie ein Virtuose, der in einem galaktischen Musikwettbewerb eine chromosonische Orgel spielte, klebte Ludwig an den Kontrollen der Winde.
    Ganz langsam zerrte er die Tür auf.
    Erst jetzt stellten wir fest, daß von der Tür aus ein Bolzen tief in den Fels des Hügelhangs hineingetrieben war. Dieser Bolzen bog sich, während die Winde an der Angelseite der Tür zog. Und plötzlich löste sich der Bolzen aus dem Fels; Ludwig schaltete die Winde sofort herunter und nahm den Kabeln damit die Zugspannung. Die gewaltige Tür kippte aus ihrer Fassung, stellte sich schräg auf eine Seite, stürzte nach vorn und gab damit den Weg frei in die Gruft.
    408b war der erste, der sich auf den nun offenen Zugang hin in Bewegung setzte. Es kletterte auf die umgestürzte Tür, blieb dort einen Augenblick stehen, starrte in die Gruft hinein und winkte aufgeregt mit seinen Tentakeln. Dies war der Höhepunkt der Laufbahn von 408b: Der Spezialist für Paläotechnologie blickte in eine Kammer, die vollgestopft war mit bestens erhaltenen Maschinen der Erhabenen. Gerade als Jan und ich die Tür erreichten, stürmte 408b begeistert in die Gruft hinein.
    Ein blendender Blitz aus gelblichem Licht leckte aus dem oberen Bereich des offenen Zugangs. Einen Augenblick lang stand die ganze Öffnung in Flammen. Jan und ich stolperten zurück und bedeckten die Augen. Als wir die Hände wieder sinken ließen, war der Glanz verschwunden. Und 408b ebenfalls. Nur zwei verkohlte Tentakel, die direkt im Eingang lagen, waren von ihm übriggeblieben.
    Ich bin noch nie zuvor mit dem Tod – einem dauerhaften Tod – konfrontiert worden. Ich habe einmal ein Unglück auf einer Baustelle gesehen und mehrere Unfälle, in die Fußgänger verwickelt waren, aber jedesmal kam innerhalb weniger Minuten ein Einfrierwagen an, und die Opfer wurden rasch zur Behandlung in ein Wiedererweckungs-Laboratorium gebracht. So etwas betrachtet man nicht als Tod, nur als eine Art Zwischenspiel. 408b aber war verschwunden. Jenseits aller Hoffnung auf Wiedererweckung – verstreute Atome können nicht wieder zusammengesetzt und mit neuem Leben erfüllt werden. All seine Fähigkeiten, sein Wissensschatz, seine Hoffnung auf zukünftige, neue Erkenntnisse … verschwunden.
    In einer Zivilisation, in der die meisten Todesfälle nur zeitweilig sind, ist der wirkliche und endgültige Tod schrecklich und erschütternd. Wir anderen versammelten uns, traten vor der Gruft bestürzt und benommen aufeinander zu. Jan begann zu schreien. Ich nahm sie in die Arme, entdeckte dann, daß mir selbst nach Schreien zumute war, beherrschte mich aber. Mirrik betete. Pilazinool schraubte etwa zwanzigmal innerhalb von zwei Minuten seinen rechten Arm ab und wieder an. Dr. Schein fluchte leise. Steen Steen zitterte wie Espenlaub. Und Leroy Chang wandte sich ab und ließ sich als ein Häufchen Elend auf den Rand der Tür sinken. Dr. Horkkk war der einzige, der sich völlig in der Gewalt zu haben schien. „Weg vom Zugang!“ rief er, und während wir zurückwichen, nahm er einen Stein auf und warf ihn in die Gruft hinein. Erneut flackerte der Blitz auf.
    Wir waren nicht ohne weiteres in der Lage, die Kammer zu betreten. Das war ziemlich klar.
    Der Tod von 408b hatte uns zu sehr aus der Fassung gebracht, als daß wir sofort weitermachen konnten. Wir zogen uns in die Fähre zurück, wo Mirrik auf Dr. Scheins Bitte hin einen Gedächtnisgottesdienst für den Paläotechnologen durchführte. Nicht einmal Mirrik hatte eine Vorstellung davon, welche Art von

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